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Rechnung offen

Rechnung offen

Titel: Rechnung offen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Inger-Maria Mahlke
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klettert in voller Fahrt die Leiter hinauf, ihre Zöpfe schwingen, der Rock, vorne gegen ihre Beine gedrückt, flattert hinter ihr im Luftzug. Sie bremst ab, ohne dass der Schlag im Büro zu hören ist. Später ist sie Kontoristin geworden, Bürovorsteherin, hat ausgebildet, es würden gar nicht alle Lehrlinge in ihre Wohnung passen, die sie ausgebildet hatte.
    Elsa stellte sich neben ihn ans Fenster, Nicolai sah hinab auf den Bürgersteig, ein schwarzhaariges Mädchen stand vor der Haustür, eine Hand an den Klingeln. Die Tür unten öffnete sich, er schwieg, stieß sich vom Fensterbrett ab und ging zum Tisch.
    Die Umstellung von Wachstuch auf Seide, von Seide auf Polyester hatte sie mitgemacht, vom alten auf den jungen Appelt. Von Hut- und Putzmachern zu Brautmoden und Trauerkleidung. Theater und Revues hatten sie bestückt, jahrelang gab es keine Aida, kein Serail, ohne Appelt’sche Seidencallas. Die Arbeitsschritte blieben gleich, ob Seide oder Wachstuch, stanzen, färben, formen, mit Appretur versehen, montieren und garnieren. Ähnlich war sie mit den Lehrlingen verfahren, stanzen, färben, formen, mit Appretur versehen, montieren und garnieren. Tut mir leid, gab es bei ihr nicht, nicht einen Fehler zweimal machen, und Unverfrorenheiten schon gar nicht. Sie kannte den Inhalt jedes einzelnen Regals, jeder Schublade, jeder Kiste, jeder Schachtel, später die Zahlen auf den Karteikarten, auf denen die Restbestände notiert waren.
    Die Einzelstiele waren nach Blumensorte, nach Farbe, Länge, Material sortiert. Astern, Astilben, Chrysanthemen, Dahlien, Freesien, Gerberas, Gladiolen, Hortensien, Iris, Kirschblüten, Lilien, Magnolien, Maiglöckchen, Margeriten, Mohn, Pfingstrosen, Ranunkeln, Seerosen, Strelitzien und Tulpen. Die Callas lagerten extra, ebenso die Rosen und Orchideen. Sie gab es den Lehrlingen auf, sagt es vor euch hin, wenn ihr die Wäsche aufhängt, das Geschirr abwascht, ein Abzählreim.
    Wenn sie nachts wach lag, übte sie, so wie sie mit den Lehrlingen geübt hatte. Magnolien, weiß, siebzig cm, oder Pfingstrosen, gelb, dreißig cm. Sie schloss die Augen und stand in der Mitte des Lagers, wusste, wie viele Schritte es zu jeder Seite waren, ohne dass sie an ein Regal stieß, konnte jede Schublade fühlen, jede einzelne Blumenreihe. Als wenn an jedem Schubfach ein Faden befestigt wäre und am anderen Ende des Fadens sie, und die Fäden hielten sie an ihrem Platz in all dem Gewühle.
    Elsa blieb neben dem Tisch stehen, nahm die Teekanne vom Stövchen, der Griff war lauwarm, sie deutete auf den Teller mit den Pfannkuchen.
    »Bedienen Sie sich.«
    Sie schenkte ihm Tee ein, sich selber Kaffee, er stand nicht auf, um ihren Stuhl zurückzuschieben, ihr beim Hinsetzen behilflich zu sein. Elsa griff nach dem Milchkännchen, hob es an, das Kännchen war zu leicht. Auf dem Porzellanboden lag eine dünne Staubschicht, sie hatte vergessen, es zu füllen. Er blickte zum Fenster, sie stellte das Kännchen neben ihren Teller, so, dass er nicht hineinsehen konnte. Er nahm ein Stück Streuselkuchen, benutzte seine Finger, nicht die Zange. Lange, schmale Finger, ohne Flecken, Adern gut versteckt unter heller Haut, mit einem Flaum fast weißer Haare bewachsen. Die Falten an den Gelenken glätteten sich wieder, sobald er die Hand ein wenig schloss, die Finger beugte.
    »Was macht die Arbeit?«
    »Gut«, sagte Nicolai, »ich habe den Spot für das Steakhaus fertig geschnitten, der Film, von dem ich erzählt hatte.«
    Elsa nickte. Er machte was mit Computern und Filmen, für die Wichtel war es zu früh.
    »Jetzt warte ich«, sagte er, »dass was Neues reinkommt.« Er streckte die Hand nach der kleinen Platte mit den Keksen aus.
    »Und Ihre Familie ist wohlauf?«
    Er ließ den Keks wieder los, legte ihn zurück, an den Rand. Das gehörte sich nicht, was man anfasst, muss man auch essen, ihre Mutter hätte sie ins Bett geschickt. Er sah an ihr vorbei zum Bücherregal, seine Augenbrauen hoben sich, ein wenig nur, zwei lichthelle Striche. Als er merkte, dass sie ihn anblickte, nahm er den Löffel von der Untertasse und rührte. Seine Augen konzentriert auf die Hand gerichtet, er trank den Tee ohne Milch, Zucker, Zitrone, er brauchte keinen Löffel, nächstes Mal beim Eindecken würde sie darauf achten.
    Einmal hatte er gefragt, ob sie früher Tanzen gegangen sei. »Erika war nicht so fürs Tanzen«, hatte sie geantwortet. »Nicht mit Erika«, er hatte eine Pause gemacht, ehe er die Frage beendete, »mit einem Herren?«
    Sie

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