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Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Titel: Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kachelmann , Miriam Kachelmann
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anhören, die den Sachverhalt verbogen, bis er zur Anklage passte. Der traurige Höhepunkt der Veranstaltung war erreicht, als die Staatsanwaltschaft, das mahnende Wort des Oberlandesgerichts von der »Scharnierfunktion« des unglaubhaften Einstiegs der Nebenklägerin in den »Tatabend« noch im Ohr, schlicht behauptete, die Verabredung habe von vornherein den Inhalt gehabt, dass zunächst gegessen werde. Zur Untermauerung dieser Behauptung wurde bewusst unvollständig und sinnentstellend aus dem Chat mit dieser Verabredung zitiert.
    Miriam und ich fuhren nach diesem letzten Aufbäumen eines irrationalen Verfolgungswillens nach Haguenau in Frankreich und aßen dort im Restaurant mitten in der Stadt, bevor wir todmüde in die Schweiz fuhren. Das Schlimmste war überstanden. Jetzt kam unser Tag mit Combé und Schwenn. Und dann der 31. Mai 2011, der Tag der Urteilsverkündung.
    Miriam war mit Andrea Combé und weiteren Anwälten ihrer Kanzlei noch einmal die wichtigen Punkte für das Plädoyer durchgegangen. Die Chats und E-Mails zwischen mir und der Nebenklägerin aus einer Zeit, als ich Miriam schon kannte, erneut durchzulesen war ein schmerzhafter Prozess für sie. Ich wollte es verhindern, um Miriam nicht zu »retraumatisieren«, wie Professor Seidler es genannt hätte, aber Miriam wollte stark sein, sich der Wahrheit stellen und nichts dem Zufall überlassen.
    Andrea Combé leistete ganze Arbeit. Auf Dinkel schien dies jedoch kaum Wirkung zu haben. Sie schüttelte nur zwischendurch enerviert grinsend den Kopf. Auch das längste Plädoyer kann nicht vollständig sein, aber Andrea Combé zeigte an diesem Tag, dass sie eine ganz Große ist. Johann Schwenn rundete den Auftritt der Verteidigung mit einer Stunde zehn Minuten fein ziselierter Justizschelte ab, die bei der indignierten Kammer entsprechend ankam.
    Am Vorabend des 31. Mai 2011 trafen sich die Menschen im »Le Tigre« am Place d’Armes in Haguenau im Elsass, die mit mir einen der wichtigsten Tage meines Lebens verbringen wollten: Miriam, der Zürcher Anwalt Martin Kurer, der auf seine Art mitgeholfen hatte, und Reto Caviezel, erfolgreicher Unternehmer und alter Freund. Es wurde eine kurze Nacht im Etap-Hotel am Stadtrand. Wir standen schon um fünf Uhr morgens auf, und ich stieg gegen acht in der Nähe von Andrea Combés Privatwohnung in ihr Auto, mit dem wir wie immer unter großem Getöse und Bohei in die Tiefgarage fuhren und damit die Aufmerksamkeit von dem Wagen dahinter ablenkten, in dem Martin Kurer, Reto Caviezel und auf dem Rücksitz die unter einer Decke versteckte Miriam saßen, die uns in die Tiefgarage des Landgerichts Mannheim folgten.
    Wie immer gab es eine freundliche Begrüßung durch das Justizpersonal im Landgericht, korrekte Leute, auf die das Land stolz sein kann. Sie sind nicht so wie die, für die sie arbeiten. Sie sind gute, echte, ehrliche Menschen, die die Angeklagten allgemein, nicht nur mich, anständig behandeln. Es war wie in der JVA : Der Fisch stinkt vom Kopf.
    Während der ganzen Prozesszeit war ich in den Mittagspausen immer alleine in einem der Säle geblieben (und wurde mitnichten durch Frau Birkenstock oder sonst jemanden betreut), und wenn ich zur Toilette musste, führte mich einer der professionellen und zu Recht Uniform tragenden Justizbediensteten in den Keller, wo ich meinen Geschäften in einer derjenigen Zellen nachging, aus denen ich jeden Tag in Handschellen vorgeführt worden wäre, wenn es nach dem Wil len der 5. Strafkammer des Landgerichts Mannheim gegangen wäre. Lustigerweise begegnete ich an diesem Tag auf dem Weg durch die Katakomben zum zweiten Mal während des Verfahrens der Nebenklägerin mit ihrem Gefolge von wohl einem halben Dutzend Menschen, Prozessbegleiter im Auftrag des »Weißen Rings«, deren Anteilnahme einem Opfer galt, das es nicht gab. Dinkel schien durch diese Begegnungen auf engem Raum gar nicht beeindruckt (überraschend, wo sie doch angeblich immer um ihr Leben fürchtete), ihr Tross war aber wieder ganz außer sich und kurpfälzerte sturzbetroffen: »Des isch jetz aber unglücklich.« Ich antwortete mit einem fröhlichen »Guten Tag«. Ich konnte und wollte nicht mehr an meinem Freispruch zweifeln. Andrea Combé hatte ihn mir fest versprochen.
    In seiner nachahmlichen Art, Wörter komplett falsch zu betonen und gerne jede Silbe einzeln in besonders gestelzter Art und Weise zum Vortrag zu bringen, würgte der Vorsitzende den Freispruch förmlich aus sich heraus. Das Gericht hatte

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