Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
Greuel, denen der Gutachter Pleines am Ende einen Riegel vorschob, war das immer ein unhandlicher Brocken gewesen: Ein Mann erlebt durch zwei Kuckuckskinder die maximale Kränkung, reagiert ziemlich entspannt darauf und kämpft jahrelang vor Gericht darum, dass er die Kinder weiter sehen darf. Am Ende wurde Viola Sch. durch die Befragung so in die Enge getrieben, dass sie auch in diesem Punkt die Wahrheit sagte: dass die Kinder immer gerne bei mir seien und jeweils lieber länger bei mir ge blieben wären – eine Aussage, die vom Gericht mit sichtlicher Tristesse entgegengenommen wurde. Das Monster wollte partout keine Gestalt annehmen.
Die letzten Wochen vor Gericht wurden nicht weniger anstrengend. Miriam hatte eigentlich vorhergesagt, dass die Medien kippen würden, wenn die Gutachter kämen, aber die Vorverurteiler wollten so sehr recht behalten, dass sie sich verzweifelt an jedes Hoffnungsfit zelchen klammerten, das »Kachelmann belasten« könnte. Es gab allerdings nichts Ernstzunehmendes. Immer häufiger konnten wir von der Verteidigung in den Angriff schalten; ich war dankbar, dass Rechtsanwalt Höcker von Anfang an geraten hatte, alle Persönlichkeitsrechtsverletzungen zu verfolgen, auch wenn ich wusste, dass die Kosten dafür mich zwingen würden, fast alle Grundstücke und Häuser zu verkaufen, die ich hatte, zuerst die in Deutschland, um mit meinen Steuern nicht die Pension der Juristen, denen ich begegnet war, im weitesten Sinne mitzufinanzieren.
Der Auftritt eines der Päpste der Aussagepsychologie, Prof. Dr. Günter Köhnken, der mit zu den Gründern dieser Wissenschaft gehört, war eindrucksvoll, sogar schon im öffentlichen Teil seines Vortrags: Noch niemals in seinem langen Berufsleben habe er eine so lückenhafte Aussage wie die der Nebenklägerin erlebt. Die Möglichkeit einer Autosuggestion wies er entschieden und mit rationaler Begründung zurück. So musste sich die Kammer erstmals öffentlich mit der Möglichkeit einer Falschaussage ihrer Kronzeugin befassen, und es fiel der weithin in den Medien widerhallende Satz von Richter Bock: »Wenn sie lügt, warum lügt sie so schlecht?« Hätte er sich zuvor mit Köhnken oder der Aussagepsychologie beschäftigt, hätte er gewusst, dass Lügen kognitive Schwerarbeit ist. Und bekanntlich hatte die Nebenklägerin damit so ihre Schwierigkeiten. Dass sie bereits außerstande war, sich die Reihenfolge wesentlicher Handlungselemente zu merken, war immerhin ausgiebiger Gegenstand ihrer gerichtlichen Vernehmung gewesen.
Schlimm war allerdings, dass Bocks Ausspruch verriet, dass er den Beschluss des Oberlandesgerichts Karlsruhe entweder nicht gelesen, nicht verstanden oder aber schon wieder vergessen hatte. In einer Bemerkung »zu Ansätzen außerhalb dieser Methodik« (gemeint ist die Methodik der Aussagepsychologie) hatte das Oberlandesgericht diese Art der laienhaften Beweiswürdigung ausdrücklich zurückgewiesen:
»Der schlichte Schluss, die Nebenklägerin könnte den Angeklagten (aufgrund ihrer mangelhaften Aussage) zum Kerngeschehen, zur Vergewaltigung, nicht falsch angeschuldigt haben (weder objektiv noch subjektiv), weil sie den Angeklagten mit einer mangelfreien (qualitätsreicheren) Aussage hätte überzeugender falsch anschuldigen können, erscheint zirkelschlüssig (sofern die fragliche Aussage der Nebenklägerin keine externe Bestätigung finden sollte).«
Ich hatte mich nicht sedieren müssen, um die mehr als vierzig Prozess tage mit Anstand durchzuhalten, auch wenn das Gefühl der Macht- und Wehrlosigkeit gegen diesen ganzen Verurteilungsapparat manchmal schier atemberaubend war und es immer wieder Momente gab, an denen ich ohne Miriam, Andrea Combé und Johann Schwenn daran zu zerbrechen drohte. Diese schwachen Momente hielten aber nur kurz an, und vor allem die beiden Frauen zählten mir jeweils auf, warum mich jedes Gericht der Welt würde freisprechen müssen. Tatsächlich waren Körpersprache und Kommunikation der Kammer mir gegenüber seit der für das Gericht traumatisierenden Schweizreise anders geworden, und nach einigem Hin und Her war mir ja auch die dreiwöchige Reise im April zu meinen Kindern ermöglicht worden. So schloss ich mich weitgehend der Ferndiagnose der Psychologiestudentin Miriam K. an, dass Leute, die einen verknacken wollen, nicht so mit einem umgingen.
Dennoch war der Tag des Plädoyers der Staatsanwaltschaft kein schöner Tag, Dinkel saß triumphierend im Saal, und ich musste mir das Machwerk von Menschen
Weitere Kostenlose Bücher