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Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Titel: Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kachelmann , Miriam Kachelmann
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wir in einem Unrechtsstaat, in dem die Aussage einer Frau per se mehr Gewicht hat als die eines Mannes?
    Auch die Untersuchung der objektiven Beweise orientiert sich allein daran, ob sie den Anklagevorwurf stützen (logisches Ergebnis: nein), sodass auch hier keine Beweiskette geschmiedet wurde, weil sie nicht geschmiedet werden sollte. Die Kammer versteigt sich sogar zu dem Ergebnis, dass Selbstverletzungen nicht ausschließbar seien, referiert dann aber Gutachten, die Selbstverletzungen dringend nahelegen, und lässt die aus den brav wiedergegebenen Spurengutachten ersichtliche Tatsache, dass das Messer als Tatwaffe ausscheidet, gänzlich unberücksichtigt. Prof. Dr. Luise Greuel und Prof. Dr. Günter Köhnken wären arg verdutzt, könnten sie zur Kenntnis nehmen, wie die Landrichter aus Mannheim es vermieden haben, die Diskrepanz in diesem kleinen Bereich zwischen Greuel (Autosuggestionshypothese ist nicht abweisbar) und Köhnken (Autosuggestionshypothese ist auszuschließen) zu entscheiden. Die Kammer hat einen kreativen Mittelweg gefunden: Die Autosuggestionshypothese kann dahingestellt bleiben, denn irgendwie ist die ganze unzulängliche Aussage meiner Falschbeschuldigerin autosuggestiv kontaminiert, weil die Nebenklägerin, gebeuteltes Beziehungsopfer und krisengeschüttelt nach einem traumatisierenden Untreuegeständnis, zum Rekonstruieren von Erinnerungen neigt. Und wer weiß, wer weiß, so spekuliert man höheren Orts herum – und formuliert den traurigen Höhepunkt der bewussten Begründungsverweigerung meines Freispruchs:
    »Damit konnte auch die Möglichkeit der bewussten Aggravation [soll heißen: der bewusst übertriebenen Schilderung; Anmerkung JK ] eines tatsächlichen, strukturell nicht abgrenzbaren Gewaltgeschehens nicht ausgeschlossen werden.« [S. 193]
    Wow. Das mag zwar als Bewerbungsschreiben für Drehbuchschreiber zur Verfilmung des Schicksals von Claudia D. durchgehen. Dem Bundesgerichtshof kann man diese klebrige Lektüre allerdings nicht zumuten, und einem Freigesprochenen, der unschuldig ist, erst recht nicht.
    Der liest nur fassungslos auf Seite 193 des Urteils die Behauptung: »Das vorstehend gefundene Ergebnis war nicht mit dem Nachweis einer intentionalen Falschaussage der Nebenklägerin oder auch nur der erhöhten Wahrscheinlichkeit einer solchen gleichzusetzen« – doch die war in keiner Weise geprüft worden. Und er reibt sich die Augen, wenn er liest, dass die Kammer davon ausgeht, von der Nebenklägerin darüber angelogen worden zu sein, dass sie den Namen ihrer Konkurrentin im Herbst 2008 durch einen anonymen Anrufer erfahren und irgendwann im Laufe des Jahres 2009 anonym die Kopie der Ticketreceipts erhalten haben will. Auf eine Lüge mehr oder weniger kommt es wohl nicht an – ein Verfahren, wie es schon die Staatsanwaltschaft praktizierte.
    Im Deutschen Richtergesetz heißt es: »Ich schwöre, das Richteramt getreu dem Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland und getreu dem Gesetz auszuüben, nach bestem Wissen und Gewissen ohne Ansehen der Person zu urteilen und nur der Wahrheit und Gerechtigkeit zu dienen, so wahr mir Gott helfe.«
    An der Existenz des Grundgesetzes, der Gesetze, der Wahrheit und der Gerechtigkeit, ja selbst an der von Gott, zweifele ich auch nach meinen Mannheim-Erfahrungen nicht. Dass Michael Seidling, Dr. Joachim Bock und Daniela Bültmann mein Fall aufs Gewissen schlug, ist für mich nach allem, was ich bis zum 31. Mai 2010 gelesen und danach in vierundvierzig Prozesstagen erlebt habe, nicht vorstellbar.

Teil VII
    Was sich ändern muss

Miriams Sicht: Kein Einzelfall
    Als aufmerksame Bürgerin, die teilweise mittelbar, teilweise auch unmittelbar von den Problemen betroffen war, die ich im Folgenden versuchen werde darzustellen, habe ich mich dazu entschlossen, in diesem Buch noch ein paar Seiten über unsere Justiz, zu Frau Schwarzer und der gesellschaftlichen Auseinandersetzung mit Jörgs Fall und ähnlich gelagerten Fällen zu schreiben. Weil es meiner tiefsten Überzeugung nach diverse Dinge gibt, die dringend öffentlich wahrgenommen und diskutiert werden müssen, möchte ich meine Beobachtungen und Erfahrungen der letzten Jahre hier aufschreiben und darstellen, welche Konsequenzen sich nach meinem Dafürhalten daraus ergeben müssten.
    Dass die nachfolgenden Gedanken von einer sechsundzwanzigjährigen Psychologiestudentin geschrieben wurden, die aufgrund ihrer eigenen Erlebnisse quasi zur Expertin wider Willen wurde, und nicht etwa von

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