Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
gegenwärtige Situation ist durch diese große öffentliche Aufmerksamkeit für viele Bürger offensichtlich geworden. Auch Nichtprominente können ihr zum Opfer fallen, nur wird darüber dann nicht in den Medien berichtet oder, wie im Fall Horst Arnold, erst wenn es schon zu spät ist.
Falsche Vorstellungen, naive Gesetze
Bis zum Frühjahr 2010 hatte ich, wie viele meiner Mitbürger, einen schier unerschütterlichen Glauben an das deutsche Justizsystem. Wann immer ein Staatsanwalt im Fernsehen eine Stellungnahme zu einem Verfahren abgegeben hat, habe ich sie ernst genommen und geglaubt. Schon allein deshalb, weil ich davon ausgegangen bin, dass es für einen Staatsanwalt schwerwiegende Konsequenzen hätte, würde er öffentlich die Unwahrheit sagen, schließlich ist er ja Beamter.
Außerdem, so dachte ich, ließe sich die Lüge eines Staatsanwalts sicherlich leicht aufklären, schließlich gibt es ja auch Verteidiger und Richter, die die Akten kennen; und letztlich konnte ich mir auch kein Motiv vorstellen, das einer bewussten Falschinformation über den Stand eines Verfahrens zugrunde liegen könnte. Was brächte sie denn dem Staatsanwalt oder seiner Behörde?
Seit ich allerdings den Ersten Staatsanwalt Grossmann im Fernsehen gesehen habe, als er die (wie ich später erfuhr: vollkommen unbegründete und überstürzte) Anklage gegen Jörg für die Öffentlichkeit begründen wollte und dafür mangels Beweisen und stichhaltigen Indizien einfach drauflos fabulierte und später an anderer Stelle behauptete, es habe DNA -Spuren Jörgs am Messer gegeben, habe ich den Glauben an die angeblichen »Richter vor dem Richter« verloren. Denn diese von Grossmann laut in die Öffentlichkeit posaunten Beweismittel gab es zu keinem Zeitpunkt, wie später vor Gericht von den Gutachtern auch bestätigt wurde.
Staatsanwalt Oltrogge, der mittlerweile im System Mannheim zum »Ersten Staatsanwalt« befördert wurde (was einiges über das dortige Beförderungssystem aussagt) und Oberstaatsanwalt Gattner haben besonders im Laufe der Gerichtsverhandlung Grossmann noch überholt, indem sie meiner Beobachtung nach falsche Informationen streuten und teilweise sogar mit Sätzen wie: »Auch dieser Gutachter konnte der Nebenklägerin eine Falschaussage nicht nachweisen« der Öffentlichkeit suggerierten, dass der Angeklagte seine Unschuld zu beweisen habe und nicht etwa umgekehrt, wie es aus dem Rechtsstaatsbekenntnis unseres Grundgesetzes folgt. Man muss dazu wissen, dass die deutsche Staatsanwaltschaft nicht als Partei, sondern als neutrale Institution im Gesetz angelegt ist, entgegen der amerikanischen Staatsanwaltschaft, die dort von Gesetz wegen Partei ist.
Die Unschuldsvermutung bedeutet letztendlich, dass ein Beschuldigter oder später Angeklagter bis zum Beweis seiner Schuld durch rechtskräftiges Urteil als unschuldig gelten muss. Und weiter, dass der Beweis seiner Schuld im Rahmen eines Verfahrens angetreten werden muss, in dem alle nötigen Voraussetzungen für seine Verteidigung gewährleistet sind. Die Unschuldsvermutung fordert, dass nicht der Beschuldigte seine Unschuld zu beweisen hat, sondern die Strafverfolgungsbehörden seine Schuld. Die Unschuldsvermutung ist festgelegt in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, in Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention und letztendlich durch das Rechtsstaatsprinzip in unserem Grundgesetz verankert. Sie ist darüber hinaus ein Pfeiler unseres Rechtsstaats.
Mannheimer Staatsanwälte, Polizisten und fast alle Medienvertre ter, die über diesen Fall berichteten, haben sich regelmäßig über diesen wichtigen Pfeiler des Rechtsstaats hinweggesetzt, und insbesondere bei den Beamten kann man nicht davon ausgehen, dass dies zufällig oder ohne besseres Wissen geschah. Es stellt sich also die Frage nach den Gründen.
Trübe Quellen
Der unerschütterliche Glaube der Deutschen an ihr Justizsystem beruht oftmals auf falschen oder halb wahren Annahmen.
Beispielsweise weiß kaum jemand, dass an einem Landgericht während der Hauptverhandlung kein Inhaltsprotokoll geführt wird. Den Protokollführer, dem man bei den Fernsehrichtern Alexander Hold und Barbara Salesch manchmal bei einem Schwenk der Kamera über den Rücken schaut, gibt es auf der Ebene der Landgerichte nur zu dem Zweck, die einzelnen formalen Schritte festzuhalten; also welcher Zeuge wann aufgerufen wurde, welche Anträge gestellt und wie sie beschieden wurden und so weiter. Weder wird das gesprochene Wort der
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