Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
unternommen werden muss, ist eine bittere Lehre aus Jörgs Verfahren. Die Wunschliste ist lang, die ich als ehemals der Justiz vertrauende Bürgerin zusammengestellt habe, nachdem ich ein derartiges Verfahren miterlebt habe. Zu allem Übel musste ich dabei auch noch entdecken, dass der Promi-Malus-Faktor nur für einige Auswüchse verantwortlich war, während die grundsätzlichen Missstände offenbar der Normalfall sind.
Eigentlich sollte es nicht meine Aufgabe sein, über die Missstände in der Justiz zu schreiben und dringend notwendige Verbesserungsvorschläge anzubringen. Es empört mich geradezu, dass ich mich in all diese Dinge einarbeiten musste, weil ich durch meinen Mann von diesen unglaublichen Umständen betroffen war. Eigentlich sollte es nicht so weit kommen, dass es notwendig ist, als normaler Bürger außerhalb der Justiz auf diese Missstände aufmerksam zu machen. Kritische Stimmen müssten viel eher von den Vertretern der Justiz und den Wissenschaften selbst kommen (wobei die Wissenschaft sich schon weitaus mehr bemüht als die Justiz).
Ein bezeichnendes Beispiel für die Realitätsferne des juristischen Personals lieferte Generalstaatsanwalt a. D. Karge. In einer Talkshow erzählte er den Zuschauern, die mittlerweile fast schon täglich beobachten können, welche medialen Kampagnen die Staatsanwaltschaf ten fahren – zum Beispiel bei Jörg Kachelmann, bei dem Ex-Post-Chef Klaus Zumwinkel, dem TV -Moderator Andreas Türck, der »No-Angels«-Sängerin Nadja Benaissa und vielen anderen –, dass die Staatsanwaltschaften so gut wie nie mit der Presse redeten, es sei denn, sie seien dazu gesetzlich verpflichtet. Vielmehr seien sie der Pressepolitik von Strafverteidigern hilflos ausgeliefert – wahrhaft eine verzerrte Selbstwahrnehmung.
Allein in unserem Fall gab es vonseiten der Staatsanwaltschaft Mannheim sechs offizielle Pressemitteilungen (die Statements, die sie rund ums Ermittlungsverfahren und vor und nach einem jeweiligen Verhandlungstag der Presse gab, nicht mitgezählt), das Amtsgericht Mannheim verfasste vier Pressemitteilungen über Jörgs Verfahren und das Landgericht Mannheim ganze einundfünfzig. So viel zu dem Punkt, die Justiz rede nicht mit der Presse.
Die Geschichte wird eben immer von den Siegern geschrieben, und die Sieger sind immer die Strafverfolgungsbehörden, denn niemand kann ihnen beikommen, weder juristisch noch medial, ganz egal wie sie arbeiten. Die Deutschen sind so fest davon überzeugt und stolz darauf, in einem Rechtsstaat zu leben, dass jede Kritik am Justizsystem geradezu als persönlicher Angriff gewertet wird.
Aber wie soll man auch einsehen, dass zu Hause etwas nicht richtig funktioniert, wenn man gleichzeitig mit dem politischen Finger auf andere Länder und deren Justizsysteme zeigt und Studien zitiert, denen zufolge Deutschland eines jener Länder mit einem guten Rechtssystem ist, und wenn man eine selbst ernannte Ikone der Frauen hat, die einem jedes schlechte Gewissen abnimmt, falls man mal wieder einen zweifelhaften Schuldspruch nur wegen der Tränen einer Frau ausspricht ohne Beweise.
Die Realität in Deutschland sieht anders aus als international wahr genommen. Der Trend zur »Beweislast« für den Angeklagten, zur Auf weichung unserer rechtsstaatlichen Prinzipien und zur Zwei-Klassen-Justiz ist allerdings nicht nur ein deutsches Problem, es ist mindestens auch ein schweizerisches, österreichisches und amerikanisches. Die Frauen- und Opferbewegungen und die medialen Verwirrungen und gezielten Desinformationen, die solcherlei Entwicklungen fördern, gibt es international. Und überall dort, wo sie genug Einfluss haben, wird es früher oder später zu einer schleichenden Aushöhlung des Rechtsstaats kommen. In den Köpfen der Richter und Staatsanwälte hat sie schon längst begonnen.
Was wird
Unser Leben nach Mannheim ist noch nicht viel ruhiger geworden. Andere, auch prominente Opfer von Falschbeschuldigungen in der Vergangenheit haben den Weg der Ruhe gewählt, nichts mehr von der Sache hören und sehen wollen, Gras drüber wachsen lassen, hoffen, dass die Leute vergessen.
Dieser Weg ist sehr verlockend, und wir haben an dunklen Tagen mehr als einmal bedauert, ihn nicht eingeschlagen zu haben. Aber schon zur Knastzeit war mir klar, dass ich das an mir begangene Unrecht nicht auf sich beruhen lassen möchte. Miriam hat mich in dieser kämpferischen Haltung unterstützt, und so werden wir weiterhin sys tematisch wahr machen, was wir im Interview
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