Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
könne er das nur formulieren, wenn er den Inhalt kennt. Viel Geld für einen Knacki, nicht genug, um in den Spiegel schauen zu können. Jeder Mensch hat seinen Preis, klar! Nicht immer ist es Geld, aber die Wahrheit hätte es für die Bild ja nicht unbedingt sein müssen. Glaubst du, Burda oder Bild hätten gedruckt: Ja, ich war mit Jörg im Hofgang, und ich halte ihn für unschuldig? Nie und nimmer! Ich komme eigentlich aus der Ortenau, Offenburg und Burda liegen vor meiner Haustür, habe viele Freunde da und kenne auch den ein oder anderen Entscheidungsträger. Für mich ist der Fall klar, Burda hat sich, aus welchem Grund auch immer, auf dich eingeschossen!«
Die Theologen
Neben vielen Insassen und den Vollzugsbeamten in den unteren Chargen gab es noch weitere gute Menschen: Auch die Anstaltstheologen haben eine wichtige lebenserhaltende Funktion. Sie sind zwar Diener des Systems, weil sich leider weder die katholische noch die evangelische Kirche dazu durchringen kann, die Anstaltstheologen ausschließlich aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Das wäre so wichtig, vor allem, um die Unabhängigkeit der Theologen gegenüber dem oft menschenunwürdigen System zu betonen. Aber ein Teil der pasto ralen Seele muss sich mit dem System gemeinmachen, einfach deshalb, weil ein Teil des Nichtgotteslohns vom Land Baden-Württemberg kommt. Die Kirche sollte zu stolz sein, das anzunehmen.
Dennoch sind die beiden Theologen so wichtig wie eine Schwimm weste im Ozean. Der sonntägliche Gottesdienst von acht Uhr bis Vier tel vor neun ist gut besucht, und das nicht nur, weil es an Ostern auch mal eine Tüte mit Schokohasen und -eiern gibt (große Reue bei allen, die nicht dabei waren, Päckchen von auswärts sind ja verboten). Die Theologen Gerhard Ding und Thomas Eisermann strahlen Menschlichkeit und Fürsorge aus, an denen es sonst der gesamten Anstalt gebricht – so finden sich auch Muslime bei den christlichen Gottesdiensten ein und zünden eine Kerze an, weil es groteskerweise nur die Theologen der beiden christlichen Religionen sind, die fest in der JVA Mannheim am Werk sind. Ein muslimischer Geistlicher kommt im Schnitt einmal im Monat vorbei, was dem Seelenheil der vielen muslimischen Schäfchen (rund die Hälfte aller Insassen) nicht gerecht werden kann.
Ich war vor dem Knast nie sehr religiös, aber auch nicht ungläubig. Es ist ja nicht selten, dass Menschen in der Not Trost und Hoffnung im Gebet suchen, das war bei mir früher auch manchmal so, und im Knast entschied ich mich schon früh, jeden Sonntag den Gottesdienst zu besuchen. Eine kleine exterritoriale Welt, und die fünfundvierzig Minuten mit den Theologen Ding oder Eisermann waren immer diejenigen Momente im Knast, die mir am meisten nahegingen, weil es die einzige Zeit war, wo die Welt sich nicht wie Knast anfühlte und ich spürte, was es bedeutet, die Freiheit verloren zu haben. Es waren auch die Momente, in denen ich am wütendsten über die Ungerechtigkeit war, dass ich eingesperrt war und nicht, wie es Recht und Gerechtigkeit erfordert hätten, die anderen, die mich mit ihren Lügen und ihrer kriminellen Energie in diese Lage gebracht hatten.
Die Sonntage blieben den ganzen Tag über mental ein bisschen schwieriger. Es war im Knast relativ still, weil die Gefangenen (mit Ausnahme von uns Reinigern mit den zwei Extrastunden fürs Putzen) schon um vierzehn Uhr weggeschlossen wurden und kein menschlicher Kontakt mehr bis zum nächsten Morgen stattfand. Diese Melancholie der Stille, während man durch das Fenster die Geschäftigkeit eines heißen Sommertages draußen ahnen konnte, schlug aufs Gemüt.
Zuerst war es nur das stille Gebet beim Anzünden der Kerze am Sonntag in der Kirche, das mir (und anscheinend auch allen anderen Gefangenen) viel Kraft gegeben hat. Ich habe dann angefangen, mit den vor der Kirche abgegebenen christlichen Kalendern und Devotionalbildchen einen Minialtar neben dem Fernseher aufzubauen, vor dem ich morgens gebetet habe – meistens nur um die Kraft, das aus zuhalten, später auch für Erkenntnis und Rationalität bei Staatsanwalt schaft und Gericht.
Der evangelische Pfarrer Ding ist ein Mensch, der mit den Menschen im Knast ernsthaft mitleidet, und diese Empathie macht ihn so wichtig für sie. Pfarrer Ding hat mir eine Bibel geschenkt und gewidmet und mich am Abend des 9. Juni 2010, kurz vor einem Hagelgewitter, in der Knastkapelle gesegnet: alleine bei knapp vierzig Grad in der kleinen Kapelle in der ersten Reihe stehend
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