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Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Titel: Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kachelmann , Miriam Kachelmann
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dass niemand vortäuscht, dass das Land wahnsinnig »sozial« in dem Sinn sei, den die Linke darunter versteht. Die Krankenkasse kostet wie Spaghetti für alle dasselbe, es gibt quasi Vollbeschäftigung, Kündigungsschutz existiert nicht. In Deutschland jedoch herrscht ein anderes Verständnis. Und so hat es mich sehr überrascht, dass in einem deutschen Gefängnis die Option »Mangelernährung oder nicht« über das eigene Portemonnaie entschieden wird. Ich hatte das Glück, mit Bargeld verhaftet zu werden, was sofort auf ein Knastkonto einbezahlt wurde, wovon dann eben die Miete für

    In Mannheim waren Obst und Gemüse seltene Ware.
    den Wasserkocher, für den Fernseher und auch für den Strom bezahlt wurde, den Wasserkocher und Fernseher mutmaßlich kosten – ja, das tapfere Bundesland Baden-Württemberg möchte auch die Stromkosten von den mutmaßlichen Verbrechern haben. Wer Kohle hat, kann sich auch alle zwei Wochen etwas zu essen kaufen, Zahnbürste, Shampoo, Rasierer, alles das, was es früher mal frei Haus gab und jetzt nicht mehr. Wer keine Kohle hat, braucht ein gutes Verhältnis zum Schänzer, zum Pfarrer oder zu der Person vom Sozialdienst. Alternativ lässt er es mit dem Zähneputzen sein und die Haare verfilzen.
    Die beiden Reiniger von I/3 waren nette Menschen. Einer ganz jung mit einem bemerkenswerten Strafenkatalog, ein älterer mit einem erfrischenden Lachen, einem wachen Geist und viel Hirn. Sie hatten Milch, Grießbrei, Pudding und Milchreis, von denen sie mir abgaben in den ersten etwas magenentspannteren Tagen, als ich mich daran gewöhnt hatte, dass mich fast jeder dumm anlaberte, wenn es zum Hofgang ging nach RTL Punkt zwölf , ein wirklich unangenehmes Timing. Zubereitet wurde das meistens im sogenannten Umschluss. Wer in einer Doppelzelle lag, war dreiundzwanzig Stunden pro Tag eingeschlossen, nur für den Hofgang zwischen dreizehn und vierzehn Uhr ging’s raus. Für die Leute in Einzelzellen dagegen gibt es die Möglichkeit des Umschlusses. Unter der Woche zwischen sechzehn und neunzehn Uhr, am Wochenende, wenn schon zwischen neun und zehn Hofgang ist, zwischen elf und vierzehn Uhr. Dann dürfen drei (wenn der Stockwerksbeamte nett ist – ich habe allen versprochen, im Buch nie den Ausdruck »Schließer« zu benutzen –, auch vier) Knastis in eine Zelle und spielen Karten, reden, rauchen und versuchen allenfalls, alkoholhaltige Getränke zu brauen.
    Erfahrene U-Gefangene, zu denen ich mich nach zwei Monaten zählen durfte, entwickeln eine große Meisterschaft im Kochen von allerlei Dingen in einem langsam brütenden Fünfhundert-Watt-Wasserkocher (mehr Watt gehen nicht trotz der durch die Gefangenen überbezahlten Stromrechnungen, deren Ertrag mutmaßlich den Landeshaushalt sanieren soll, aber nicht in die Verbesserung der Stromversorgung in der JVA Mannheim fließt). Für Milchreis beispielsweise schneidet man die Milchtüte oben auf, stopft sie gesamthaft in den Wasserkocher und gibt den Milchreis in die Milch. Wenn man im Knast ist, ist alles, was im Umschluss aus dem Wasserkocher gezaubert wird, einfach wunderbar. Danke an A. und René, die mich im dritten Stock freundlich aufgenommen haben!

Hausreiniger Kachelmann
    Das Glück wollte es, dass A. (nicht der aus der Zelle in der ersten Nacht), einer der beiden Reiniger, bald in einen anderen Knast verlegt werden sollte, es wurde also ein Schänzerjob frei. Für die Nachfolge brauchte es laut Anforderungsprofil jemanden, der die deutsche Sprache versteht und sich vorstellen kann, das Beamtenklo zu putzen und unter der Woche zwischen dem Aufstehen um halb sechs Uhr morgens bis zum Einschließen abends um einundzwanzig Uhr, am Wochenende bis sechzehn Uhr zur Verfügung zu stehen. Das war schon mal eine Verbesserung im Vergleich zu Normalgefangenen, die nach dem Umschluss um neunzehn Uhr, am Wochenende bereits um vierzehn Uhr eingeschlossen wurden und bei denen erst am nächsten Morgen um sechs Uhr (Wochenende sieben Uhr) wieder gecheckt wurde, ob sie noch leben. Wegen der Voraussetzung mit der deutschen Sprache fielen die meisten Kumpels mit Migrationshintergrund weg. Dann wurden die Sitzältesten gefragt, die aber alle ablehnten, bis René auf die Idee kam, bei unserem Stockwerksbeamten vorzuschlagen, ob es nicht der Kachelmann machen könnte.
    Unser Stockwerksbeamter hieß G., und er war ein Guter. Mein Vorgänger als Reiniger hatte mich schon vorgewarnt, dass deutsche Gründlichkeit bei der Arbeit vonnöten sei, um den

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