Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
Punkt reichen müssen. Zum Essen bleiben fünfzehn bis zwanzig Minuten Zeit, dann werden die Mittagessentöpfe wieder eingesammelt.
Allgemein sind es die eher jüngeren Beamten wie G., bei denen noch deutliche Züge von Empathie und Mitleid mit den Gefangenen zu spüren sind. Mit der wachsenden Zahl von Dienstjahren verliert sich das dann. Meistens sind die Beamten Individuen mit einer spannenden Biografie; manche hatten auch schon mal mit der Justiz und ihrer Willkür zu tun, viele sind gepierct, mit größeren Mengen an Tattoos ausgestattet. Es gibt gemütlich-menschliche, es gibt verschrobene, und die anstrengenden gibt es natürlich auch und den zynisch-menschenverachtenden Typus, der von vornherein annimmt, dass hier keine Unschuldigen stranden.
Viele Beamte versuchen sich durch ihre ganz besonderen Regeln selbst ein Denkmal zu setzen, dabei wäre es so einfach: Wer die Reiniger in Ruhe arbeiten lässt, hat die saubersten Fenster (und wir waren stolz darauf) und sogar das glänzendste Klo für die Beamtenärsche. Der dritte Stock des U-Haft-Trakts war berühmt für die Sauberkeit der sanitären Einrichtung, und uns hat es nichts ausgemacht, jeden Tag die Hinterlassenschaften eines anstrengenden darmintensiven Tages zu beseitigen. Mir jedenfalls hat es nichts ausgemacht, den Dreck anderer Leute wegzumachen, und so habe ich gerne als Schänzer ge arbeitet, lässt man einmal außer Acht, welche Ereignisse zu dieser vor übergehenden Berufswahl geführt haben.
Die falschen Zellennachbarn
Die üblichen Medien haben mein Schänzertum umgedichtet, nachdem sich angeblich Knastkumpels beschwert haben sollen, dass sie ebenfalls Anträge geschrieben hätten, Schänzer zu werden, aber nicht berücksichtigt worden seien. Mein Fall hat gezeigt, dass jeder Amateurblogger besser recherchieren kann als die Angestellten sogenann ter Qualitätszeitungen, geschweige denn die örtlichen Springer-Presse vertreter in Gestalt von Frau Janine Wollbrett und Herrn Jörg Völkerling. Ich kann und will nicht jeden Dilettanten korrigieren, nur so viel: Die angeblichen Bewerber um meinen Schänzerjob residierten in anderen Stockwerken und konnten deshalb gar nicht in die Auswahl kommen. Die sitzälteren Kumpels in meinem Stockwerk wollten nicht. Und wenn wir schon mal dabei sind, RTL , Bild und andere: Die Leute, die ihr als angebliche »Zellennachbarn« interviewt habt, waren weit von mir entfernt untergebracht und haben mich allenfalls mal beim Hofgang oder im Besuchertrakt gesehen. Die Kantine, über die ihr gesendet und geschrieben habt, in der mich der angebliche Knastkollege gesehen haben soll, existiert nicht. Es gibt so was wie Stolz, auch von mutmaßlichen und angeblichen Kriminellen, sich nicht die Hände schmutzig zu machen und auch kein dreckiges Geld von Springer und Burda anzunehmen: Keiner der Kumpels vom dritten Stock des U-Haft-Flügels hat bis heute ein Interview gegeben oder verkauft. Viele Menschen, die in U-Haft sind, mögen Fehler gemacht haben, auch schlimme. Aber wie das Beispiel zeigt, haben diese Menschen mehr Ehre im Leib als so manche Journalisten.
Manche haben mir nach dem Knast davon berichtet, wie viel Geld ihnen für diesen Stolz durch die Lappen gegangen ist. Wer mit mir Hofrunden drehte, wurde systematisch einbestellt und befragt, in der Hoffnung, dass ich irgendwas Selbstbelastendes gesagt hätte. Alle scheinen bei der Wahrheit geblieben zu sein, das hebt meine Knastkumpels, schuldig oder nicht, schon mal über weite Teile der Kripo Schwetzingen und der Staatsanwaltschaft Mannheim hinaus.
Die Leute, die mit mir im Hof waren, wurden nicht nur durch die Anstaltsleitung, sondern auch systematisch durch Journalisten angesprochen, die sich in einem Haus gegenüber dem Gefängnishof dauerhaft eingerichtet und dann versucht hatten, die Leute zu identifizieren, mit denen ich meine Runden drehte, um die Kumpels anzugehen, sobald sie aus dem Knast raus waren. Einer dieser Exinsassen schrieb mir später, als ich mich wunderte, wie die »Journalisten« der größten anzunehmenden Zeitung immer so zielsicher telefonisch oder per E-Mail anfragen konnten:
»Ja, durch die Bilder und Videos (vom Hofgang), aber wie die dann an meine Daten kamen, ich weiß es nicht, eigentlich kommt da nur ein käuflicher Beamte infrage. Nein, ich habe versucht, diesen Bild - Redakteur zum schriftlichen Angebot zu bringen, aber er sagte mal: 12 000 Euro wären viel Geld für Hofganggespräche, deren Inhalt man nicht kennt! Schriftlich
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