Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
Außentemperatur unter der Zellentemperatur lag, die Viecher durch die offenen Fenster in die Zellen fallen ließen.
Es gibt ein charakteristisches Geräusch, wenn die chitingepanzerte Deutsche Schabe aus drei Metern Höhe auf die Bettdecke oder auf den Boden prallt, laut genug, um aufzuwachen, eine genervte nächtliche Suche zu beginnen und es auch uncool zu finden, dass diese Geräte die schnellsten Insekten der Welt sein sollen, über fünf Kilometer pro Stunde. Irgendwann erwischt man sie dann, und es folgt, wie nach der ersten Nacht in Mannheim gelernt, das Programm: mit Klopapier aufheben und runter ins Klo.Zu denken gab mir (obwohl ich es mir nach wie vor nicht vorstellen kann), als ein Kollege aus dem Vierten nach einem angeblichen Kakerlakenbiss einen tierischen Abszess auf der Wange bekam; das fand ich weniger schön, auch wenn ich noch nie davon gehört hatte, dass der Schwabenkäfer zum Beißen neigt.Seitdem behielt ich mein Fenster auch bei größter Hitze nachts in der gekippten Stellung und schraubte halt den Ventilator auf die volle Dröhnung.
Der Ventilator half allerdings nicht weiter, wenn es darum ging, Lebensmittel zu lagern. Einmal pro Woche bekam man eine Schachtel Margarine und einen Liter Milch, aber auch die Ultrahaltbarkeit stößt an ihre Grenzen, sobald die Milchtüte geöffnet ist. Wer keinen Einkauf hatte (den sich nur diejenigen leisten konnten, die Verwandte und Bekannte hatten, die Geld auf das Knastkonto einzahlten) und sich nicht neu versorgen konnte, musste die wenigen Stunden genießen, in denen die Milch okay war und die Margarine nicht flüssig – das ist eben das Problem, dass man innerhalb kurzer Zeit einen Liter Milch trinken und zweihundertfünfzig Gramm Margarine essen muss, weil schon am Tag danach das eine sauer und das andere flüssig ist. Ohne Kühlschrank hat man keine Chance im Sommer, und so sind die Gefangenen ohne Einkauf dann wieder sechs Tage ohne Milch und Brotaufstrich.
Besser hat man es, wenn es von außen Geld gibt und man gleich zeitig drinnen arbeitet. Der Lohn für die Arbeit ist vernachlässigbar (Zitat aus der Gefangenenzeitschrift Klette der JVA Mannheim, Ausgabe Winter 2009, Seite 37: »Die Entlohnung beträgt Tagessätze zwischen 7,50 und 12 Euro« – schöner kann einem der Staat nicht zeigen, wie wertlos die Arbeit und dadurch man selbst letztendlich ist) und hilft einem nicht, irgendwas zu kaufen: Aber die Tatsache der Arbeit an sich erhöht den erlaubten Betrag für den Einkauf. Vielleicht sollte ich noch angeben, wie hoch der Lohn für einen Reiniger mit Unschuldsvermutung in der U-Haft ist: immerhin satte 1,07 Euro in der Stunde, da lässt man’s schon gerne mal krachen am Ende einer U-Haft.
Mithilfe von außen kann man also die skorbutträchtige Anstaltskost ergänzen und für 239 Euro pro Monat einkaufen. Je nach zu erwartender Außentemperatur (sehr hilfreich war für uns Knastis, dass der Frühling 2010 eher kühl war) will es wohl erwogen sein, was gekauft wird, welche Frischprodukte und welche haltbaren. Schokoladentafeln zum Beispiel kann man gut mitnehmen, wenn man beim Umschluss zu einem kleinen Kartenspiel unter Reinigern in eine andere Zelle eingeladen wird: Man betritt fremde Zellen ungern mit lee ren Händen. Für die meisten anderen Mitgefangenen war klar, wofür ein großer Anteil der Einkaufskohle gebraucht wird: Rauchen ist verbreitet, und Rauchen ist teuer. Mir wurde zwar mehrfach prophezeit, dass ich im Knast das Rauchen anfangen würde, aber diese Vorhersage war falsch, und so konnte ich das Geld vor allem für das ausgeben, was es sonst nicht gab: Obst, Gemüse, Getränke. Und außerdem, weil ein- bis zweimal die Woche auf dem Stockwerk gekocht werden darf, noch etwas klassischere Nahrungsmittel wie Nudeln und Reis – und nicht zu vergessen Kuchen, Quark, damit mit den Früchten auch ein angemessenes Gesamtkunstwerk im Umschluss angerichtet werden kann. Es war immer ein kleines Fest im Knast, wenn wir eine kunstvolle Quark-Früchte-Torte hinbekommen hatten oder frische Ananas in Joghurt oder ähnliche Kostbarkeiten, die vorsichtig aufgeteilt und schnell verzehrt wurden, weil im Hochsommer alles schnell hinüber ist.
Arbeit in der JVA Mannheim ist sinnlos, weil man nur einen lächerlichen Lohn bekommt, aber ohne Geld gibt es gar nichts.
Wer gesund essen oder sich die Zähne putzen will, muss für viel Geld den Einkauf nutzen.
Zweimal im Monat verwandelte sich die im Grundzustand aggressiv bellende Knastakustik
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