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Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Titel: Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kachelmann , Miriam Kachelmann
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ma ximal zweimal einer halben Stunde im Monat gab es nur noch ein theo retisches Fenster nach draußen: den Parkplatz nördlich des Knasts. In Blick- und Rufweite der Zellen versammelten sich hier Angehörige oder Freunde, um mit den Gefangenen Kontakt zu halten.
    Ich habe diese Möglichkeit nie genutzt, weil es für meine arme Mutter womöglich zu traurig gewesen wäre, sich auf den Parkplatz zu stellen, um sich schreiend mit ihrem Sohn zu verständigen. Meine Kinder waren in Übersee, und ansonsten hielt sich die Anzahl der Bezugspersonen sehr in Grenzen. Es ging mir wie allen: Man verliert im Knast etwa siebenundneunzig Prozent seines Bekanntenkreises, und die, die übrig bleiben, bleiben Freunde oder werden es. Das Hin- und Herschreien vom und zum Parkplatz im Norden der JVA wurde je nach Lust und Laune des leicht cholerischen Leiters der U-Haft in Mann heim unterschiedlich geahndet. Russische Dialoge wurden weitgehend akzeptiert (weil nicht verstanden), während deutsche Dialoge sofort Uniformierte auf den Plan riefen, die unverzüglich Meldung machten, was einen Schreimonolog des U-Haft-Leiters in der Zelle des dialogwilligen Gefangenen zur Folge hatte. Bei schlechter Laune oder wenn der Gefangene auf irgendeiner Shitlist stand, gab es schon mal Verlegungen in den ersten Stock, in dem ich die ersten Tage verbracht hatte und wo die Löcher in der Vergitterung vor den Fenstern nicht mal briefmarkengroß sind – keine Chance, irgendwas zum Parkplatz zu schreien oder von dort zu hören.
    Inzwischen soll diese kleine akustische Freiheit, mit der sich Kon taktmöglichkeiten schaffen ließen jenseits der unmenschlichen Lösung »Zweimal-dreißig-Minuten-müssen-auch-für-Unschuldsver mu tete-reichen«, durch eine ausführliche Kameraüberwachung des Park platzes geschlossen worden sein. Wer auf dem Parkplatz herum steht, wird schnell von den örtlichen »Gesetzeshütern« angesprochen.
    Bemerkenswerterweise helfen vor allem die elektronischen Medien mit, den sanften Übergang Deutschlands in einen Polizeistaat mitzugestalten. Ich habe schon in sehr vielen Ländern Fernsehen geschaut: In keinem wird auf so vielen Kanälen so lustvoll kontrolliert und wenn möglich festgenommen wie in Deutschland. Polizist und Zöllner zu sein ist die neue geile Obsession für deutsche Fernsehschaffende; Kaufhausdetektive und Gefängnisdokus runden die kollektive Erregung angesichts des zur Strecke gebrachten mutmaßlichen Bösen ab. Dazu kommt das getürkte Fernsehen, das euphemistisch als »scripted reality« läuft, und bei einem angeblichen Nachrichtensender führen sich die Polizisten als die neuen Herren der Welt auf, wie ich am 17. Mai 2010 in meinem Knasttagebuch notiert habe: »Groteske n-tv -Sendung, irgendwas mit Revier (ab vierzehn Uhr). Respektlose, dumme Polizisten, die immer möchten, dass sie ausreden dürfen, aber nie ausreden lassen. Die selber schreien, aber andere nicht schreien lassen wollen.«
    Von wegen »Freund und Helfer«. Beim Gedanken daran, was für ein Weltbild hier vermittelt wird und wie anders die Wirklichkeit aussieht, kann einem übel werden. Polizei und Justiz in Deutschland glauben wegen fehlender Kontrolle offenbar, dass sie Gott sind. Und verhalten sich auch so. Und werden durch die durchboulevardisierten Medien hofiert, weil es Quote bringt. So geht der Rechtsstaat vor die Hunde.
    Ich sah im Knast so viel fern wie noch nie, und bei meinem Privatfernsehkonsum fiel mir vor allem die mangelnde Vielfalt deutscher Werbespots auf – weiß der Teufel, was die Leute in den Werbeagenturen so machen. Alle schöpfen aus einem Vokabular von hundertfünfzig Wörtern, neunzig davon heißen »lecker«, sehr zu Unrecht das erfolgreichste Wort der deutschen Sprache in den letzten zwanzig Jahren.
    Ich selbst habe bis zum 29. Juli 2010 die Sender am meisten geguckt, bei denen ich vor mir selbst sicher war. Tage, an denen ich nicht in der Glotze kam, waren gute Tage, und ich habe die Zeit genossen, in der ich mal ein paar Nachrichtensendungen gucken konnte, ohne dass in den Breaking News mein Name vorkam. Die Berichterstattung der Medien war durch die dezidierte Falschinformationspolitik der Staatsanwaltschaft in Tateinheit mit der Bequemlichkeit der Redakteure fast aller Qualitätsmedien nahezu identisch.
    Nur an einem Wochenende gab es leichte Unsicherheiten durch eine Spiegel -Geschichte, in der die nicht vorhandene Beweislage der Staatsanwaltschaft dokumentiert wurde, und ein mir unbekannter Würdenträger der

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