Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
für kurze Zeit in ein friedliches Summen, wenn der Einkauf, der vorher per Formular bestellt werden musste, geliefert wurde, die Kostbarkeiten unter den fest verschraubten Pritschen verstaut wurden und es für achtundvierzig Stunden Schlaraffenland gab. Danach waren die meisten schönen und frischen Lebensmittel ungekühlt nicht mehr in dem Zustand, den man sich wünscht. Und nach den achtundvierzig Stunden relativer Völlerei mit Vitaminen, Friede, Freude und Eierkuchen folgten wieder zwölf Tage Warten bis zur nächsten Bescherung.
In einem fremdbestimmten Leben wie im Knast gibt es im Lauf der Zeit immer mehr Rituale, und wenn man zu lange sitzt, entwickeln sich die Rituale zu Haftschäden, die aus der Reizarmut entstehen – wie das Weben der Elefanten im Zoo, das mechanische Hin- und-her-Wackeln mit Kopf und Rüssel, so manifestieren sich nach etwa achtzehn Monaten Haft ähnliche Verhaltenseigenschaften bei Menschen. Ein Kumpel, der schon drei Jahre in U-Haft saß, füllte seine leere Zeit durch ein permanentes gepresstes Singen durch die geschlossenen Lippen. Angesichts perfekter Hand-aus-Karten beim Rommé (also wenn man alle Karten auf einmal erfolgreich loswird) war das nachvollziehbar eingesetzt, aber beim Essenausteilen und bei anderen Gelegenheiten wurde klar, dass er das immer machte, sobald er nicht sprach.
Knast ist nicht das Drinsein, sondern, wie man es hier nannte, das »Kopfgeficke«: das Nachdenken darüber, was draußen ist und was man verpasst. Es gab in Mannheim Leute, die saßen schon fünfundzwanzig Jahre – mit einer fernen Ahnung, was ein Computer ist; Internet und Handy kannten die Jungs nur aus der Glotze. In ihrem Verhalten erinnerten sie kaum noch an Menschen, denn die Haftschäden fangen schon nach wenigen Jahren an, und wer nach dieser Zeit rauskommt, ist nicht mehr in der Lage, draußen ein normales Leben zu führen – es wartet ja eh niemand mehr, weshalb ein kleiner Bruch danach hilft, schnell wieder in die gewohnte Umgebung zurückzukommen.
Meine Hoffnungen, auf einfache Art, ohne Anklage, ohne den demütigenden Prozess, wieder freizukommen, waren immer geringer geworden, und ich stellte mich auf eine lange Zeit des Kampfes ein. Nachdem weitere Frauen weitere unwahre Geschichten über mich verbreitet hatten, die von den Medien dankbar aufgegriffen wurden, wusste ich, dass es auf die lange Strecke gehen würde. Ich fürchtete die wöchentlichen Besuche der Birkenstocks, es gab eigentlich nie gute Nachrichten, und ich konnte nie verstehen, warum wir gegen all diese Märchenerzählerinnen nicht jeweils unverzüglich zivil- und strafrechtliche Schritte eingeleitet haben. Birkenstock sagte, dass das Gericht dann traurig werden würde wegen Zeugenbeeinflussung, aber diese Wehrlosigkeit gegen den frei erfundenen Wahnsinn da draußen war das Schlimmste für mich.
Ich lernte von den Mitgefangenen, dass es ihnen genauso ging: Kaum war man im Knast, meldeten sich Leute, mit denen man schon viele Jahre zu tun hatte, und erzählten irgendeinen Scheiß, um sich zu rächen. Nicht für etwas, was real passiert war, sondern einfach, um als Trittbrettfahrer die Situation auszunutzen, dass ein Knastinsasse niemals recht hat. Wie gesagt: Es gibt keine Unschuldsvermutung, das ist nur eine lächerliche Behauptung.
Was kommt in der Glotze?
Ich bin nachträglich sehr dankbar, dass ich nicht jeden Unsinn im Knast mitbekam, die zahlreichen Falschinformationen der Staatsanwaltschaft wegen meiner angeblichen Spuren an der »Tatwaffe« zum Beispiel und den Wahnsinn fast aller Medien, die diese Informationen bereitwillig übernahmen, sie allenfalls überhöhten, aber nie hinterfragten. Die Kumpels im Knast wussten, dass ich die Inhalte der Schwachmaten-People-Sendungen im Fernsehen nicht wiedergekäut haben wollte, und schalteten sensibel um, wenn ich für einen Besuch in die Zelle kam. Auch der örtliche Radiosender Sunshine live , bei dem Claudia Dinkel arbeitete und der seiner Klein-Teilzeit-Mitarbei terin offenbar ewige Nibelungentreue geschworen hatte, konnte durch den spanischen Sender Maxima FM im Knastkabelnetz mehr als nur ersetzt werden, und das ganze Stockwerk hat umgeschaltet – keine Macht denjenigen, die Falschbeschuldigerinnen bis heute Unterschlupf bieten – dass Claudia Dinkel bis heute unter dem Pseudonym »Toni« die Kirchensendung im Bumbum-Seifen-Sender moderiert, ist für mich als gläubigen Menschen schwer zu ertragen.
Neben Fernsehen und Radio und den seltenen Besuchen von
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