Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
Mandanten deutlich:
»Dieses Geständnis müsste ein taktisches Geständnis sein. Ich weiß nicht, ob Sie hierzu psychisch in der Lage sind, Sie müssen es einfach so sehen .« [Hervorhebungen nicht durch mich; Anmerkung JK ]
Im Klartext: Auch wenn’s nicht so war, geben Sie’s halt zu, sonst kriegen Sie fast das Doppelte, denn:
»Die dritte Möglichkeit wäre gegebenenfalls ein Freispruch, den ich bei der drückenden Beweislage gegen Sie nicht glaube erreichen zu können. Unter diesen Umständen empfehle ich dringend die erste Variante. Bitte teilen Sie mir nach reiflicher Überlegung Ihre Entscheidung mit, damit ich gegebenenfalls mit der Staatsanwaltschaft und insbesondere dem Landgericht eine Vereinbarung für Sie treffen kann. Wenn nein, werde ich Sie dennoch weiter verteidigen, allerdings wird diese sogenannte Konfrontationsverteidigung hier nicht zum Erfolg führen, seien Sie versichert, dass Sie für den Fall einer Verurteilung mit einer erheblichen Strafe von tatsächlich sieben bis neun Jahren rechnen müssen.«
So viel Zaunpfahl war selten – der Verteidiger als verlängerter Arm der Staatsanwaltschaft. Wohlverstanden, dieser Brief wurde viele Wochen vor der eigentlichen Hauptverhandlung geschrieben, deren Verlauf in der örtlichen Presse wiedergegeben wurde. Raten Sie mal, wie es dem angeblichen versuchten Totschläger/Mörder mit dem ihm abgenötigten Geständnis so erging: sieben Jahre wegen versuchten Totschlags, abzüglich Therapiezeit nach Paragraf 64. Staatsanwalt und Verteidigung hatten beide sieben Jahre gefordert. Der Dealer (jeder Deal setzt die Unschuldsvermutung außer Kraft) ist ein Meister (auch) aus Mannheim. Ob der Gesetzgeber geahnt hat, wie sein Kostensparmodell der »Verständigung« im Strafprozess den Rechtsstaat ruiniert? Im Zweifel war es ihm egal. Beschuldigte haben keine Lobby, im Gegensatz zu selbst erklärten Opfern.
Wer so mit der deutschen, insbesondere der baden-württembergischen Justiz konfrontiert wird, sieht die Bundesrepublik Deutschland des 21. Jahrhunderts nicht mehr als Rechtsstaat. (Alle Aussagen gelten für die Ära unter dem Waffen besitzenden früheren Justizminister Ulrich Goll, der sich stolz als »schwäbischer Cowboy« gesehen hat.)
Die Wolfsschanze in Herzogenried
Warum spielt das Neonazitum bei einem erheblichen Prozentsatz der deutschen Inhaftierten eine so wichtige Rolle? Vor der Knastzeit hätte ich mir nicht vorstellen können, mit Neonazis auch nur ein Wort sprechen zu können. Nach vielen Gesprächen im Hof und auch nach Beobachtungen beim Sport habe ich beschlossen: Die Knastneonazis sind keine echten, keine Antisemiten, keine Holocaustleugner – sie sehen nur den Unterschied zu unscharf zwischen der Justizwillkür, die ihnen auch im modernen Deutschland oft begegnet, und der Justiz, wie sie in traurigen Phoenix-Beiträgen über die DDR und das Nazireich beschrieben wird.
Viele JVA -Bedienstete störte die rechte Gesinnung der Insassen offenbar nicht, davon zeugten zahlreiche Hakenkreuze an prominenten Stellen in der JVA , die nie weggeputzt wurden – im Gegenteil: Während meiner Haftzeit kamen noch weitere Hakenkreuze dazu. Das größte befand sich im Metallrahmen des Hausaufzugs, mit dem jeder Gefangene beim Einfahren in den Knast und auch wieder bei der Entlassung fährt. Ich hatte anfangs vermutet, dass sie zum »Tag der offenen Tür« sicher entfernt werden würden, aber vielleicht war das Publikum daran vorbeigeschleust worden. Der Öffentlichkeit werden schließlich auch nicht die ratten- und kakerlakenverseuchten Katakomben gezeigt, nur die schnuckeligen Zellen kommen ins Fernsehen, in denen real niemand wohnt, sondern nur kurz wartet. Und wenn die Hakenkreuze den neuen Gefängnisdirektor nicht gestört haben, sind sie wohl bis heute da.
Für die beiden Neonazis, mit denen ich auch mal Mau-Mau gespielt habe, waren Hitler und Horst Wessel an der Wand einfach der größtmögliche Protest gegen ein System, das zu spektakulären SEK -Verhaftungen und bei solchen Einsätzen zu Misshandlungen der physischen und psychischen Sorte neigt. Zum Protest gehörte auch die abendliche Verabschiedung mit einem »deutschen Gruß«, der mit einer solch legeren Selbstverständlichkeit aus dem Gang des anderen Stockwerks hinauskam, als ob nicht Goll, sondern noch knapp schlimmere Menschen Justizminister in Baden-Württemberg gewesen wären. Ich musste über den grotesken Anblick nur lachen, einfach deshalb, weil diese Menschen mit dem gestreckten
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