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Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Titel: Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kachelmann , Miriam Kachelmann
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sollten: schon am ersten Tag die Erlaubnis für Wasserkocher und Fernseher beantragen!), und stellte wie die anderen Häftlinge fest, dass komplett willkürlich verfahren wurde, denn manche Anträge werden gar nicht, manche schnell und manche ganz langsam beantwortet. Ein Quittungssystem für eingegangene Anträge gibt es nicht, sodass man auch öfter zu hören bekommt, dass ein Antrag nie angekommen sei.
    Ich versuchte, mich häuslich einzurichten, und beantragte, Thermo meter und Hygrometer aus dem Gepäck ans Gitter hängen zu dürfen, zur Erbauung. Nach geraumer Zeit wurde dem Antrag stattgegeben. Leider war es nicht ganz einfach, die beiden Instrumente nur mit einer Schnur zu befestigen, und das Hygrometer segelte schon am ersten Messtag in die Tiefe, ein herber Verlust. Aber das Thermometer zierte dann die Zelle 1328 von außen (typisch, dass die örtlichen Bild - Reporter ein Brett vor dem Kopf hatten und sich offenbar bei der verzweifelten Suche nach dem richtigen Zellenfenster nichts dabei dachten, dass nur eine einzige Zelle ein leicht zu identifizierendes Thermometer am Gitter hängen hatte). Ich fing an, jeden Tag morgens um sieben die Temperatur abzulesen, immerhin hatte ich mit Bedacht eine Zelle gewählt, die Richtung Norden ausgerichtet war. So schuf ich mir Gewohnheiten, die den Tag strukturierten. Die vergangenen Ereignisse hatten mich gelehrt, mein Leben an Worst-Case- Szenarien auszurichten, und nach den ersten wenigen Wochen der Hoffnung, dass die Anzeigeerstatterin umkippen und gestehen würde, hatte ich mich an den Gedanken gewöhnt, länger zu bleiben. So hatte ich es auch an Anwalt Birkenstock kommuniziert: Ich bleibe, solange es eben braucht, bis in Mannheim Recht und Gerechtigkeit ihren Lauf nehmen, eine Kaution komme für mich nicht infrage.
    Damit die Messung einigermaßen korrekt ausfiel, wenn ich schon nicht wie vorgeschrieben zwei Meter über Wiese messen konnte, befolgte ich jeden Morgen dieselbe Routine: um fünf Uhr dreißig war Wecken, Fenster zu, Glotze an, Quincy gucken; um sechs Uhr die Post runde mit G., gucken, ob noch alles lebt, und ärgern, dass Auflösung Quincy verpasst. Durch das geschlossene Fenster kam keine erwärmte Innenluft ans Fenster, sodass die Messungen einigermaßen repräsentativ waren, bis auf die im Hochsommer, als sich das Gebäude dermaßen aufheizte, dass es in der Zelle auch nachts nicht mehr unter dreißig Grad abkühlte. Früher soll es bei Hitze noch erlaubt gewesen sein, auf beiden Seiten des Gangs in den Zellen jeweils die Essensklappe nachts aufzulassen, um ein wenig Durchzug zu erzeugen, aber aus irgendwelchen Gründen wurde das verboten, sodass es keine Alternative gab, als auf acht Quadratmetern Deutschland vor sich hinzubrüten. Zum Glück hatte der Anstaltsleiter keine Ahnung von seinem Laden und daher unrecht, als er am »Tag der offenen Tür« im Interview behauptete, dass Ventilatoren aus Sicherheitsgründen im Knast nicht erlaubt seien. O doch, sind sie, und es war ein Vorteil, dass ich die Hitzewelle aufgrund der Wetterlage ein bisschen früher erkannte und einen bestellte, als noch welche da waren – später waren sie ausverkauft.
    So ließ ich mich einfach die ganze Nacht auf mittlerer Stufe durch den Ventilator anpusten, mit viel Wind lassen sich auch dreißig Grad aushalten. Durch das Zurückgeworfen-Sein auf das Wesentliche bleibt man im Knast immerhin vor typisch deutschen Manierismen verschont wie dem Gedanken – mit dem Propeller vor der Nase –, dass es ein Problem sei, wenn es zieht, oder dass man sich womöglich erkälten könnte, ganz ohne Ansteckung. Hier geht es um die wichtigen Dinge des Lebens: Wie halte ich Lebensmittel frisch bei dreißig bis vierzig Grad Tag und Nacht, und wie schütze ich die Lebensmittel vor den Kakerlaken?
    Letztere bevölkern die gesamte JVA Mannheim in großen Mengen, hochgerechnet ein Millionenheer, und wenn man im Untergeschoss durch die Keller läuft, sieht man sie überall in sämtlichen Zuständen zwischen Leben und Tod. Mir war das eigentlich herzlich egal, die Schwabenkäfer, wie Kakerlaken in der Schweiz heißen (Mannheim gehört nicht zu Württemberg, auch wenn viele Journalisten fälschlicherweise gerne mal das Attribut »schwäbisch« auf die Kurpfalz angewendet haben), gehörten seit der ersten Mannheimer Nacht zum Inventar, und man kann sich in einem komplett kakerlakenbesetzten Gebäude schwerlich abkapseln. So war es üblich, dass sich irgendwann in der Nacht, sobald die

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