Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
JVA brachte mir eine Ausgabe der Zeit vorbei, in der Sabine Rückert frühzeitig aufzeigte, wie das Recht in Mannheim mit Füßen getreten wird. Leider las ich die Geschichte damals nicht, vielleicht hätte ich mir dann den Anwaltswechsel hin zum Experten für zu Unrecht der Vergewaltigung Beschuldigte schon früher überlegt, mit dem ich zu lange warten sollte. Groteskerweise echauffierte sich die Journaille später, dass sich Sabine Rückert unjournalistisch auf eine Seite geschlagen habe, statt neutral zu bleiben. Erbärmlich. Nein, ihr Denkfaulen: Die Lage war schon seit März, spätestens April 2010 für jeden selber nachdenkenden und selber recherchierenden Journalisten eindeutig zu erkennen. Eure sogenannte Neutralität, die Nichtstun, Faulheit und Ignoranz bedeutete, hat mitgeholfen, einen haltlosen Vorwurf öffentlich zu stärken, und seiner Urheberin die Kraft gegeben, ihn bis zum Ende durchzuhalten. Was Sabine Rückert für die Zeit und mit Abstrichen Gisela Friedrichsen für den Spiegel veröffentlichten, basierte auf Recherche, Fachkompetenz und kritisch überprüfter Überzeugung. Alle anderen gefielen sich als Sprachrohr der Staatsanwälte.
Im Mai und Juni wurde mir klar, dass in Mannheim alles anders ist, und die wöchentlichen Besuche meines Anwalts nebst Gemahlin wurden mir immer unangenehmer, weil sie meistens von unangenehmen Nachrichten begleitet waren, dass irgendwelche Frauen, mit denen ich entweder nie was hatte oder an die ich mich kaum noch erinnern konnte, sich darum bewarben, Gutes oder Ungutes über mich zu sagen. Ich begann, ein größeres Komplott nicht mehr auszuschließen. Möglicherweise fand auch einfach nur ein großes Trittbrettfahren all derjenigen statt, die meine Situation ausnutzen wollten, um einen ökonomischen Vorteil für sich herauszuholen oder um privat ihr Mütchen zu kühlen – Untreue scheint in den Augen einiger Frauen alles zu rechtfertigen, sogar, einen Menschen jahrelang in den Knast zu wünschen.
Immerhin bekam ich nach knapp drei Monaten Wartefrist die Zu lassung zum Kraftsport, durch den ich mit meinen inzwischen jugend lichen achtundsiebzig Kilo immer fitter wurde, und beim Tischtennis konnte ich an alte Qualitäten meiner Jugend anknüpfen. Beim Rommé wurde ich so gewieft, dass ich immer öfter gewann und an manchen Tagen beim Idealergebnis von null Punkten blieb. Ich wurde mental immer stärker, mit jedem Tag Knast mehr, weil nicht nur ich mir meiner Unschuld bewusst war, sondern weil ich spürte, dass ich die Solidarität des ganzen Gefängnisses hatte – den Anstaltsleiter, dessen Stellvertreter und seinen Psychologen einmal ausgenommen. Ich war entschlossen, so lange stark zu bleiben, bis sich Recht und Gerech tigkeit Bahn brechen würden. Meinen Anwalt hatte ich gebeten, die Haftsache bis ans Verfassungsgericht weiterzuziehen, falls auch das Karlsruher Oberlandesgericht ( OLG ) die Linie der Juristen der 5. Straf kammer des Landgerichts Mannheim stützen sollte, die mich mit zunehmender Verzweiflung und großem Verfolgungseifer im Knast halten wollten.
Männer weinen doch
Mir hat zweimal ein Kumpel ins T-Shirt geheult, und ich habe instinktiv das gemacht, was ich auch mit meinen Jungs gemacht habe, wenn sie sich beim Spielen wehgetan haben: Kopf an die Brust und beruhigend über die Haare streicheln. Womöglich wird generell zu wenig getröstet in einem Knast, weil es »schwul« ist und weil alle versuchen, den harten Mann zu markieren. Dieser Kumpel war eigentlich nicht einer meiner Lieblingsstockwerksgenossen, ein ziemlicher Aufschneider, der viel gesehen hatte von der Welt und es auch raushängen ließ, und ich hatte ihn öfter mal wegen seines eigentümlichen Gebrauchs von Fremdwörtern beziehungsweise solchen, die er dafür hielt, aufgezogen. An seinem Geburtstag kam er von einem Besuchstermin zurück, und es ging ihm (wie den meisten nach Besuchen) sichtlich schlecht. Ich fragte ihn nach seinem Befinden, und in seiner Zelle heulte er dann einfach los. Für mich war dieses Trösten ein normaler Vorgang, und ich hatte es schon fast wieder vergessen, als ich ein Jahr später, er war wieder in Freiheit, eine E-Mail bekam. Er schrieb über die Zeit damals im Juli 2010:
»Heute ist der Tag vor meinem Geburtstag, dieser Tag hat mich lange Zeit wenig interessiert, auch der Tag danach war lange Zeit einfach nur ein Datum. Jedoch die Zeit in Mannheim hat mich geprägt. Du hast mir Halt gegeben, mir Kraft gegeben. Das werde ich nie vergessen. Ich
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