Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
an sich blöden Tages, kam sozusagen das Obergutachten über die »Arbeit« des angeblichen Wissenschaftlers Seidler. Professor Kröber schrieb in diesem Gutachten, was den Tag damals noch am Straßenrand in Mannheim zu einem guten Tag werden ließ:
»Die Argumentation, in den Krankenblatteinträgen wie in der gutachterlichen Stellungnahme, folgt dem Prinzip: Alles was normal ist, was also nicht pathologisch ist, hat sich die Probandin trotz des Traumas erhalten können; alles was sie belastet, ist Traumafolge. Insofern gibt es kein Phänomen, das in irgendeiner Weise das Trauma widerlegen könnte, weil also alles, was vorliegt, entweder Traumafolge ist oder Widerstand gegen das Trauma. Es gibt schlechterdings nichts, was in der Wahrnehmung des Therapeuten (Seidler) die Überzeugung von einem ursächlichen Trauma widerlegen könnte. Deutlich wird, dass in der Kooperation zwischen Prof. Seidler und seiner Patientin von Frau Dinkel wiederholt die Themen angesprochen wurden, die Prof. Seidler am Herzen liegen; er forscht seit langem über das Problem der Scham, und Frau Dinkel liefert ihm im Laufe der Therapie ständig Material, dass es ihr Leiden sei, vor allem massive Scham zu empfinden.
[…]
Häufig findet Prof. Seidler sogenannte ›Intrusionen‹. Die ihm wichtigste Intrusion ist die Angabe von Frau Dinkel, bei der Konfrontation in der angeblichen Tatnacht sei Herr Kachelmann plötzlich anders geworden, ›sein Blick habe sich verändert, erst ungläubig, überrascht, dann böse und eiskalt, sie habe noch nie so einen Blick gesehen, und es schaudere sie, wenn sie daran dachte‹. Er (Seidler) fährt fort: ›Dieser Blick kommt dann auch als Intrusion immer wieder.‹
Gemeint ist damit, dass Frau Dinkel immer wieder in ihrem Bericht innehält, nichts mehr sagt, etwas abwesend wirkt und dann berichtet, sie habe diesen Blick vor sich gesehen. Das sei eine Intrusion, und das sei ein typisches Merkmal für eine posttraumatische Störung. So etwas könne man auch nicht erfinden. (Das ist füglich zu bezweifeln, zumal es alle halbwegs begabten Schauspieler als Standardkunstmittel verwenden, im Verlaufe einer Schilderung plötzlich innezuhalten, ins Leere zu star ren und sich eine ganz bestimmte Szene und Wahrnehmung zu vergegenwärtigen.)«
Kröber weiter zum Therapeut-Klienten-Verhältnis:
»Sicherlich ist eine starke emotionale Beziehung zwischen Therapeut und Klientin nicht therapiewidrig; sie muss allerdings wahrgenommen und kontrolliert werden, sie muss reflektiert werden. All das wird aus den weiteren Stellungnahmen in keiner Weise deutlich; vielmehr findet sich in allen Aufzeichnungen eine unkritische Unterwerfung des Therapeuten unter die Vorgaben der zu behandelnden Frau, die mit allem, was sie tut und sagt, die Vorannahmen des Behandlers über das Vorliegen eines maximalen Traumas, das ihr ein anderer Mann zugefügt hat, bestätigt. Das möchte er bei ihr heilen.«
Und dann das Fazit von Professor Kröber, das Miriam später trocken feststellen ließ: »Kein guter Tag für Frau Dinkel.«
»An dieser Stelle wäre es spätestens angebracht darauf hinzuweisen, dass bei Therapien mit Frauen mit dieser manipulativen Potenz, wie sie in der Beziehung zu Prof. Dr. Seidler sichtbar wird, eine regelmäßige Supervision ausgesprochen angebracht wäre; sehr viel mehr an Kritiklosigkeit gegenüber den Äußerungen einer Patientin und Selbstverleugnung des Therapeuten ist im Grunde nicht vorstellbar.«
Ein Psychotrauma bei der Nebenklägerin konnte Kröber im Gegensatz zu Seidler also nicht feststellen. Damit brach das letzte Kartenhaus der Anklage in sich zusammen.
Der allerletzte Satz des Gutachtens heißt bei Professor Kröber:
»Die Glaubhaftigkeit der Aussage war nicht Gegenstand dieses Gutachtens.«
Das war der Trick von Staatsanwaltschaft und Gericht in Mannheim, sozusagen der Plan B, den sich die Juristen zurechtgelegt haben müssen, den sie ja selbst noch in der absurden mündlichen Freispruchsbegründung durchgezogen haben: Wenn wir Kachelmann schon nicht zur Strecke bringen können, dann müssen wir unter allen Umständen die Nebenklägerin davor beschützen, belangt zu werden und selbst hinter Gitter zu kommen (allerdings verhängen Gerichte meistens lächerliche Strafen für kriminell handelnde Frauen, was auch immer sie getan haben mögen, vor allem aber wenn sie einen unschuldigen Mann ins Gefängnis gebracht haben).
Gutachter bekommen ja einen definierten Fragenkatalog, von dem sie nicht
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