Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Titel: Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kachelmann , Miriam Kachelmann
Vom Netzwerk:
agiert als Claudia Dinkel mit ihren Kumpaninnen, den »Belastungszeuginnen«.

Miriam als Zeugin vor Gericht
    Ich hatte Miriam seit meiner Verhaftung weder gesehen noch gesprochen. Von den Birkenstocks hatte es zwischendurch Andeutungen gegeben, sie sei überzeugt, dass ich so etwas nie gemacht hätte, und ab und an bekam ich Grüße und Durchhaltewünsche ausgerichtet. Das gemeinsame Erlebnis der Verhaftung hatte mich nie losgelassen, und ich hatte mir während meiner Knastzeit immer stärker gewünscht, dass wir noch mal einen Versuch miteinander haben, wenn sie denn wollte. Wahrscheinlich steht immer noch in der Zelle 1328 der JVA Mannheim das, was ich im Sommer 2010 auf die linke Wand neben dem Kleiderschrank mit Kugelschreiber mehr ritzte als schrieb: Miriam . Zwei, drei Tage später schien mir das nicht ganz ausreichend im Hinblick auf meine jüngere Vergangenheit, und ich ergänzte: Nur Miriam .
    Miriam war als erste der Zeuginnen, die allesamt in der Nacht der erfundenen Tat nicht dabei waren, am 15. September 2010 geladen. Vielleicht war ihre Ladung als einzige einigermaßen gerechtfertigt, schließlich war sie ja bei der Verhaftung dabei gewesen. Ich freute mich einerseits, sie wiederzusehen, andererseits war ich von schlechtem Gewissen zerfressen, dass sie nun einer solchen unangenehmen Situation ausgesetzt sein würde. Ich war zwar dafür nicht direkt verantwortlich, aber ich hatte Miriam mit anderen Frauen betrogen, und sie hätte diesen Irrsinn nicht über sich ergehen lassen müssen, hätte ich mir damals besser und konsequenter überlegt, was ich will und was nicht und ob häufig wechselnder Geschlechtsverkehr in meinem Alter nicht ein bisschen kindisch ist.
    Zu spät, sie kam rein, sicherlich um zehn, fünfzehn Kilo leichter. Ich hatte mir seit Tagen vorgenommen, dass ich nicht losheulen wollte in dieser Situation, was mir leicht passiert, wenn ich Mitleid habe mit einem Mitmenschen. Miriam sah aber nicht zu mir herüber; ich hatte das so erwartet und auch nicht negativ interpretiert. Sie hat bei ihrer Zeugenaussage die Wahrheit gesagt, und vor jemandem, der die Wahrheit sagt, musste ich mich nicht fürchten.
    Gericht und Staatsanwaltschaft schwelgten in einer fast schon voyeu ristischen Verhandlungsführung und fragten die arme Miriam in Grund und Boden. Sexualität war offenbar ihr Lieblingsthema. Es wurde nach allem gefragt, was nichts mit dem eigentlichen Tatvorwurf zu tun ha ben konnte, jeder Geschlechtsverkehr wurde aus sämtlichen Richtungen beleuchtet. Wie zur Einschüchterung der Zeugin las Richterin Bült mann triumphierend beschlagnahmte SMS -Nachrichten vor. Die ganze Atmosphäre war geprägt durch ein Von-oben-herab-Reden, eine Kälte, ein geheimes Delektieren an der Thematik, eine Machtdemonstration der Kammer, die mit ihren Stichwortgebern von der Staatsanwaltschaft gemeinsam eines versuchte: die vierundzwanzigjährige Miriam K. durch permanente Grenzüberschreitungen bei der Einvernahme zu demütigen, zu provozieren und zu Aussagen zu verleiten, die mich hätten belasten sollen. Daniela Bültmann ist inzwischen nicht mehr Richterin, sondern angeblich irgendwas für die CDU in Berlin, was ich für eine gute Tat für Deutschland halte, weil sie so automatisch Schaden vom Land abwendet. Nirgendwo können inkompetente Menschen mehr furchtbare Dinge tun als als Richter.
    Miriam blieb stark, kaum geschützt durch ihren Anwalt und meinen Verteidiger vor den hochnotpeinlichen Verhörern oben am Rich tertisch und links auf den Stühlen der Staatsanwaltschaft. Das Gericht beraumte in seinem inquisitorischen Furor einen zweiten Tag an, den 29. September 2010, an dem Seidlingbockbültmann noch einmal probieren wollten, die Zeugin und damit den Angeklagten vielleicht doch noch zur Strecke zu bringen. Ich war stolz auf Miriam, dass sie so stark blieb, alle Hinterhalte dieser Leute, die vorgaben, dort im Namen des Volkes zu sitzen und zu fragen, durchschaute und die starke Vorstellung einer emanzipierten, selbstbewussten Frau bot, die sogar pseudoeinfühlsam vorgetragene Suggestivfragen souverän konterte. Zwei Wochen später also wieder ein ganzer Tag, eine Quälerei sondergleichen, und wenn diese Einvernahme öffentlich gewesen wäre, hätte man wohl über einen Offenbarungseid der deutschen Justiz berichten können, die den Sitzungssaal in eine verbale Peepshow verwandelt hatte.

Miriams Sicht: Die Aussage
    Mitte August erhielt ich eine Ladung vom Landgericht Mannheim, mich am 15. September 2010

Weitere Kostenlose Bücher