Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
und ich war weiterhin davon beseelt, nicht nur gegen das an mir exekutierte Unrecht zu kämpfen, sondern auch denjenigen zu helfen, denen nämliches Unrecht nach mir widerfährt. Und da mich nie irgendjemand von der ARD kontaktiert hatte, wusste ich, dass ich bei dem Sender nichts mehr zu melden haben würde. Der Ruf war ruiniert, nun galt es, aus dem ungenierten Restleben das Beste und Sinnvollste zu machen. Trotz der gewachsenen Religiosität zählte ich ein Jahr des Aufenthalts im Kloster nicht dazu. Wozu auch – ich kannte ja meine Fehler in diesem Hochgeschwindigkeitsleben und meine Entscheidungsunfähigkeit in Sachen Beziehungen zur Genüge und hatte hundertzweiunddreißig Tage Zeit gehabt, besonders unge stört darüber nachzudenken. Erkenntnis: weniger arbeiten, immer wissen, was ich will und was nicht, und das am Ende auch machen, keine Kompromisse aller Art, täglich beten, sicherstellen, dass meine Mutter nie ins Altersheim muss, und ansonsten: Kinder sind das Wichtigste.
Diese furchtbare Fahrt im Range Rover nach Mannheim. Dieses kehlezuschnürende Näherkommen an die Stadt des Justizelends, das Treffen abends, gegen einundzwanzig Uhr, vor der Mannheimer Kanzlei von Andrea Combé (die Paparazzi hatten wie immer um diese Zeit schon Feierabend, und Sonntag war es obendrein), beruhigend dann die Fahrt mit Combé nach Heidelberg ins Hotel, das ein weiterer Anwalt aus der Kanzlei Höcker dankenswerterweise organisiert hatte.
Ich hatte bereits während des Knasts gegen Widerstand darauf bestanden, eine Frau ins Team zu holen, weil Birkenstock mit seiner patriarchalischen Ausstrahlung mir nicht geeignet schien, Frauen die wirklich harten Fragen zu stellen. Schon damals musste ich befürchten, dass es tatsächlich zu einem Prozess kommen würde, und Burdas Zeitschriften hatten ja mitgeteilt, dass mehrere Frauen, die ich mal kannte, »gegen Jörg Kachelmann« aussagen würden. Mir war zwar völlig schleierhaft, was diese Frauen oder irgendjemand, der die Wahrheit sagen wollte, gerichtlich Bedeutsames gegen mich aussagen könnten, aber ich musste generell mit dem Worst-Case-Szenario rechnen: mit Kampf. Also wollte ich eine Frau im Team, und sie sollte aus der Mannheimer Gegend sein, denn so viel war mir klar, dass die Mannheimer Justiz einen von außerhalb sowieso von vornherein als nicht satisfaktionsfähig ansehen würde.
Ich hatte mich bei den Knastkumpels umgehört und viel Gutes über Andrea Combé gehört. Sie sei für ihr Alter ein Geschoss, aber auch eine gute Anwältin. Ich erzählte Birkenstock davon, insistierte über mehrere Besuche, bis es endlich zu einem Treffen, aber nicht zu einem Engagement, sondern nur zu einer halbherzigen freien Mitarbeiterschaft kam, gewissermaßen um vor Ort den Puls zu fühlen. Gegen Ende meiner Knastzeit hörte ich von Mitgefangenen dann weniger tolle Dinge, sie könne vor allem Deals, was mir aber keine Angst machte, denn Deals sind ja was für Leute, die was ausgefressen haben. Ich war unschuldig.
Ich ließ mich von diesem Gerede nicht beeindrucken und war froh, vor den Prozesstagen mit ihr von Mannheim nach Heidelberg zum Hotel fahren zu dürfen. Sie war von Anfang an von meiner Unschuld überzeugt und hatte einen fundierten Optimismus, wusste aber auch, dass viel Arbeit vor uns lag. Bis Ende November durfte sie par ordre du moufti kaum etwas tun oder sagen; auch der spätere Verteidiger Schwenn war ein Alphatier, aber er schätzte vom ersten Tag an Combés Sachverstand und die Präzision im richtigen Erkennen des Problems, und Schwenn und Combé kämpften um mein Leben, als ob es ihr eigenes wäre. Dieses Gefühl gibt einem in größter Not Sicherheit. Aber das kam alles erst im Dezember.
Der 6. September 2010 kam und mit ihm das erwartete Theater drinnen und draußen, und ich hoffte einfach, dass es bald vorbei wäre dank des vorbereiteten Befangenheitsantrags gegen den Vorsitzenden Seidling und die Richterin Bültmann. In der Tat war das Gröbste schnell durch, ein sonniger und warmer Tag. Nebenklägerin Dinkel saß ebenfalls im Gerichtssaal und grinste offenbar zufrieden vor sich hin. Erst nach ihrem Bunte -Interview vom Juni 2011 waren die Bilder ihres hasserfüllten zufriedenen Grinsens unverpixelt zu sehen – ausgerechnet unter der Überschrift »Ich bin keine rachsüchtige Lügnerin«. Als »Opfer« ist man im Gegensatz zu einem prominenten Angeklagten kein mediales Freiwild, sondern darf meist mit Rücksichtnahme auf die Persönlichkeitsrechte rechnen.
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