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Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Titel: Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kachelmann , Miriam Kachelmann
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der Täterschaft, so die Lehre daraus, lassen sich leichter überwinden, wenn man den Angeklagten im Lauf der Gerichtsverhandlung mit erfundenen oder ausgeschmückten Geschichten als charakterlich oder moralisch verkommen darstellt.
    Ich vermutete derartige Motive des Gerichts und der Staatsanwaltschaft, als ich die Ladungsliste im Internet auf der Seite des Landge richts las, und war zutiefst frustriert und wütend, dass das Landgericht nicht zur Vernunft gekommen war nach dem eindeutigen Beschluss des Oberlandesgerichts, das Jörg mangels dringenden Tatverdachts frei gelassen hatte mit dem Verweis darauf, dass »Bestrafungs- und Falschbelastungsmotive« der Nebenklägerin nicht ausgeschlossen seien. Das war ein Affront gegenüber dem Landgericht, der wohl nicht erfolgt wäre, wenn das Oberlandesgericht Karlsruhe nicht davon überzeugt gewesen wäre, dass die Mannheimer Justiz sich vollkommen verrannt und einen höchstwahrscheinlich Unschuldigen eingesperrt hatte. Denn ein Gericht rüffelt andere Richter in einem so öffentlichkeitswirksamen Verfahren wie diesem nur ungern.
    Knapp vier Wochen waren vergangen, in denen ich inständig gehofft hatte, dass die Richter des Landgerichts nun endlich zur Ver nunft gekommen seien, dass sie sich den obergerichtlichen Beschluss zu Herzen genommen und den Fall auch einmal aus dieser für sie neuen, distanzierten Perspektive betrachtet hätten. Mit der Veröffentlichung der Ladungsliste wurde meine Hoffnung allerdings im Keim erstickt. Ich verstand sie als Kampfansage an das Oberlandesgericht, vielleicht sogar als Ausdruck eines Egoproblems. Es war wieder einer der Momente, in denen mich eine tiefe innere Unruhe und Angst ergriff, weil ich zu verstehen begann, dass die Qualität eines Justizsystems ganz entscheidend von den Menschen abhängt, die in ihm arbeiten.
    Seit Jörgs Verhaftung im März hatte ich alles gelesen und alles verfolgt, was über das Verfahren veröffentlicht worden war. Ich hatte über seinen Verteidiger, Rechtsanwalt Birkenstock, sowie über dessen Frau regelmäßig und in kurzen Abständen meine besten Wünsche und Durchhaltenachrichten ausrichten lassen, ob dies jedoch immer und immer vollständig geschah, weiß ich nicht. Briefe konnte ich nicht schreiben, da diese wegen der Postkontrolle von der Justiz gelesen und im Fall einer Aussage womöglich gegen mich verwendet worden wären. Zudem missfiel mir der Gedanke, dass Fremde sich das Recht herausnehmen, private Post zu lesen. Aus denselben Gründen schieden Besuche aus, zumal ich befürchtete, am Eingang der Justizvollzugsanstalt von den Medien erwartet zu werden. Auch nach der Haftentlassung gab es lediglich eine nur unzulänglich funktionierende indirekte Kommunikation. So wussten wir beide bis zu dem Zeit punkt nach meiner zweiten gerichtlichen Aussage, als wir uns das erste Mal seit seiner Verhaftung wiedersahen, nicht, woran wir miteinander waren und wie es dem jeweils anderen wirklich ging.
    In all den Monaten zwischen Festnahme und gerichtlicher Aussage hatte sich eine unbändige Wut in mir aufgestaut. Wie sollte es anders sein, wenn man instinktiv weiß , dass das, was dem Menschen, den man geliebt hat, vorgeworfen wird, jetzt nicht und nicht in hundert Jahren der Wahrheit entsprechen kann.
    Ich habe in dieser Zeit viele Dinge über Jörg erfahren, die mir unbekannt gewesen waren, die allerdings, nach der ehrlichen Reflexion über die Monate hinweg, für mich auch nicht unvorstellbar waren. Denn ich hatte durchaus geahnt, dass irgendetwas in seinem Privatleben nicht so sein konnte, wie er es mir gegenüber darstellte. Ungefähr zwei Monate vor seiner Verhaftung hatte ich einer Freundin am Tel efon sinngemäß gesagt, dass ich nicht wisse, ob er nicht vielleicht irgendwo eine zweite Familie mit zehn Kindern habe (von seinen Kindern in Kanada hatte er mir allerdings erzählt, und wir wollten sie im Sommer gemeinsam besuchen). Diese Gedanken resultierten damals aus der Unzufriedenheit über die relativ seltenen Treffen. Wir sahen uns immer wöchentlich für ein bis zwei Tage oder alle zwei Wochen etwas länger, und ich empfand das auf die Dauer als nicht tragbar für eine feste Beziehung. Ich war zwar durch die Arbeit, der ich damals nachging, auch selbst zeitlich stark eingebunden, aber dennoch wollte ich eine andere Lösung. Wir einigten uns darauf, das zu verbessern, aber ich war nicht davon überzeugt, dass sich die Situation tatsächlich verändern würde. Erst in der Zeit seines

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