Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
Kanada-Aufenthalts während der Olympischen Winterspiele im Februar/März 2010 hatte ich den Eindruck, dass wir uns wirklich einig geworden waren und dass er sich eine engere, festere und eindeutigere Beziehung mit mir wünschte.
Alles das, was ich dann in den Medien über die anderen Frauen las, hat mich natürlich trotz meiner Skepsis sehr getroffen. Dennoch oder gerade wegen meiner eigenen Erfahrung glaube ich keiner der Exfreundinnen, dass sie nie irgendetwas gewusst oder auch nur geahnt haben wollten. Jörg und ich waren zum Zeitpunkt seiner Verhaftung seit knapp einem Jahr zusammen, und ich ahnte schon Monate vor unserer unfreiwilligen Trennung, dass er mir etwas verschwieg. Es war einfach zu offensichtlich; und so ein guter Lügner, wie man ihm zu sein andichtete, um die eigene Verantwortung kleinzureden, ist er beim besten Willen nicht. Selbstbetrug und schlechte Motive der Partnerinnen (wie sie sich im Laufe des Prozesses bei einigen der Ex freundinnen offenbaren sollten), an einer solch unzulänglichen Bezie hung festzuhalten, gehören unabdingbar zum Erfolg einer Täuschung dazu. Das soll die Täuschung weder beschönigen noch entschuldigen. Aber mal ganz ernsthaft und bei allem Verständnis für Träumereien und das Leben in Illusionen: Wie soll man das über Jahre nicht bemerkt haben wollen? Das halte ich für ausgeschlossen.
Ich war also durchaus enttäuscht und verletzt, aber diese Gefühle haben mir nie den Verstand vernebelt und mich zu einer rachsüchtigen Amazone mutieren lassen. Es ist eine Sache, jemanden zu betrügen (wozu, wie gesagt, nach meiner Meinung immer jemand gehört, der sich betrügen lässt); eine andere ist es, jemandem eine schwere Straftat vorzuwerfen, die er nicht begangen hat. Wer Jörg kannte und eine ehrliche Einschätzung über ihn abgab, wusste, dass er zu einer solchen Tat nicht in der Lage war und auch niemals sein würde. Deswegen war es ein von vornherein zum Scheitern verurteiltes Unterfangen der Nebenklägerin, ihm eine Sache anhängen zu wollen, die so weit von Jörgs Naturell entfernt war – zumindest hatte ich anfangs noch gedacht, das müsste aussichtslos sein. Die Monate seit seiner Verhaftung hatten mich eines Besseren belehrt, nämlich dass sich im mer Mitmenschen finden, die von einem das Zerrbild einer gestörten Per sönlichkeit, eines Menschen mit schlechten Neigungen oder mit einem üblen Charakter herstellen. Falls man noch dazu im Blickpunkt der Öffentlichkeit steht, gesellen sich auch die Stalker und Wahnsinnigen dazu, die ihre Hassgefühle im Internet verbreiten. Und vor allem fehlen diejenigen nicht, die den Kontakt ohnehin nur aus Profitgründen gesucht haben und die im Falle eines Falles schnell die Seiten wechseln. Dann ist es eben jetzt eine Zeitung, die viel Geld bezahlt, um intime oder »pikante Sexdetails« oder sonst irgendetwas zu erfahren. Da fallen die Masken sehr schnell.
Ich stieg also mit einer großen Wut, verzweifelt über die eigene Ohnmacht, nichts an den bestehenden Verhältnissen ändern zu können, und mit Hass auf die schier unendliche Ignoranz der Staatsanwaltschaft und des Gerichts am frühen Nachmittag des 14. September 2010 am Hauptbahnhof Leipzig in den ICE Richtung Mannheim. Ich hatte mehrere Wochen bei meiner Familie und Freunden verbracht und fuhr, ähnlich wie am Tag von Jörgs Verhaftung, von ihnen weg, diesmal also, um vor dem Gericht zu erscheinen, das Jörg nach einer ungerechtfertigten Verhaftung einen ungerechten Prozess machte. So hatte ich es damals erlebt, so erlebte ich es jetzt wieder.
Monatelang hatte ich gelesen – Gerichtsurteile, juristische Artikel, Artikel über Jörg und das Verfahren, Texte über Aussagepsychologie, Studien und Abhandlungen über sexuelle Gewalt und die Folgen für die Opfer und deren Verhalten –, und ich hatte diese Lektüren immer wieder abgeglichen mit eigenen Erfahrungen und dem Erfahrungswissen Dritter. Ich war mir daher nicht nur aus Gefühlsgründen und wegen der Kenntnis seiner Person sicher, dass Jörg schon längst hätte aus dem Gefängnis entlassen werden müssen. Spätestens nach den Zeit - und Spiegel -Artikeln vom Juni 2010, die als erste Medien aufzeigten, dass es eigentlich kaum eine Grundlage für die Inhaftierung Jörgs gab und damit erste Ermittlungs- und Verfahrensfehler aufdeckten, war mir auch klar, dass noch nicht einmal die Aussage der Nebenklägerin den Mindestanforderungen, die an eine gerichtliche Aussage zu stellen sind, genügte und dass es, trotz
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