Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
zahlreicher Spuren, die untersucht wurden, nicht den geringsten Sachbeweis für die behauptete Tat gab. Meine emotionale und intellektuelle Erkenntnis seiner Unschuld entsprach demnach auch der juristischen Lage. Ich zweifelte zutiefst am deutschen Rechtsstaat.
Mit dieser Einstellung fuhr ich ab. In den Wochen, seitdem ich die Ladung erhalten hatte, hatte ich mir innerlich jeden Tag die längsten und ausführlichsten Monologe zurechtgelegt, die ich dem Gericht und der Staatsanwaltschaft um die Ohren hauen wollte. Mal offensiv, mal mit dem Bemühen, sie aufzufangen und zu überzeugen. Angefangen mit der Unsinnigkeit meiner Ladung und der Ladung der anderen Frauen (was ich sogar rechtlich begründen konnte) über die juristisch fragwürdige Dramaturgie der Zeugenladungen insgesamt, über die Ausblendung wissenschaftlicher Erkenntnisse, über die fehlende Menschenkenntnis von Gericht und Staatsanwaltschaft, über die offensichtlichen Lügen der Nebenklägerin, mit einem Schlenker hin zu einer kurzen Erklärstunde über Frauen und ihre Fähigkeiten zur Manipulation, zu den Motiven der Frauen, gegen Jörg auszusagen, bis hin zu einem Vortrag über Sexualität, um ihnen am Ende entgegenzuschleudern, dass sie mein Privatleben einen feuchten Dreck anginge und dass sie beim Studium besser hätten aufpassen und später gefälligst ihre Weiterbildungen hätten besuchen sollen. Kurz, ich schäumte vor Wut und hatte den festen Vorsatz, all das auch genauso dem Ge richt zu sagen. Ich hatte mein flammendes Plädoyer minutiös im Kopf, wie einen Schauspieltext choreografiert.
Frau Birkenstock rief mich an, kurz bevor ich in den Zug stieg, wünschte mir alles Gute und erklärte, dass ich keine Angst haben solle. Ich sagte, dass alles okay sei, denn Angst um mich hatte ich keineswegs. Ich hatte nur Angst, eine Mauer der Ignoranz vor mir zu haben, in den Köpfen der Richter und Staatsanwälte nichts verändern zu können und in dieser Ohnmachtssituation zu verharren, in der ich letztendlich die ganzen Monate gewesen war. Frau Birkenstock unterschätzte mich vermutlich, aber das tat sie wohl von Anfang an und bis zum Schluss. Es war mir aber gleichgültig. Es ging nicht darum, sie zu überzeugen.
Der Abend davor war ein schwieriger Abend gewesen, denn zu der Wut kam eine starke Nervosität, die daraus entstand, nicht zu wissen, was auf mich zukommen würde. Ich telefonierte noch mit meinem Anwalt, der mich auch bei meiner polizeilichen Aussage begleitet hatte, und wir beratschlagten, ob wir die Öffentlichkeit ausschließen wollten. Ich war anfangs dagegen, weil ich wollte, dass die Öffentlichkeit wusste und erfuhr, dass das, was ich zu sagen hatte, Jörg in keiner Form belastete, im Gegenteil. Ich wollte mit den vielen Lügen aufräumen, die unter anderem auch über mich, vorrangig aber über Jörgs Charakter und seine Lebensumstände verbreitet worden waren. Mein Anwalt gab zu bedenken, dass das zwar eine richtige Überlegung sei, dass aber die Presse am Schluss sowieso nur schreiben würde, was sie wollte. Dass sie sich einzelne Sätze herauspicken, aus dem Kontext rei ßen und verzerren und unser Sexualleben vor aller Augen und Ohren ausbreiten würde. Schließlich ließ ich mich überzeugen, den Ausschluss der Öffentlichkeit zu beantragen, auch deshalb, weil es nicht nur um mein Intimleben ging und ich für Jörg nicht mitentscheiden konnte, da wir ja keinen Kontakt hatten. Im Nachhinein betrachte ich diese Entscheidung als Fehler, denn der Beschluss des Gerichts, bei meiner Aussage die Öffentlichkeit auszuschließen, wurde quasi zum Präzedenzfall und hat den späteren Aussagen der anderen Frauen (ich war die erste Zeugin) Tür und Tor geöffnet, ebenfalls den Ausschluss der Öffentlichkeit zu beantragen, und manche konnten sich so ihre Exklusivrechte für »Interviews« sichern, in denen sie teilweise komplett andere Aussagen als vor Gericht und Polizei machten.
Am Morgen des 15. September 2010, dem Tag meiner Aussage, schaltete ich den Fernseher ein und sah bei n-tv den ewig schlecht informiert daherkommenden Thomas Präkelt vor dem Landgerichtsgebäude stehen und davon erzählen, dass heute ja die erste der »Beziehungszeuginnen« aussagen werde. Zeitgleich sah ich in Bild - online , dass sie einen Artikel über mich veröffentlicht hatten, in dem Teile meiner polizeilichen Aussage sinnentstellend zitiert und mit meinem Vornamen und dem Anfangsbuchstaben meines Nachnamens versehen waren. Das war wohl die Rache von Bild
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