Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
für das »presserechtliche Informationsschreiben«, das ich über meinen Anwalt Wolfgang Kutsch unter anderem an Bild , RTL und Bunte hatte schicken lassen und in dem sinngemäß stand, dass ich jeglicher individualisierender und erkennbar machender Text- und Bildberichterstattung widerspreche: Bild reagierte darauf mit der Entscheidung, das bislang eingesetzte Pseudonym »Dagmar B.« in meinen Klarnamen »Miriam K.« zu verändern.
Die Show, die die Medien mit ihren Übertragungswagen und ihren Mikrofonen und Laptops vor dem Landgericht abzogen, war eine widerliche Party, die an die Stimmung erinnerte, die vor Gladiatorenkämpfen geherrscht haben musste – es war eigentlich zum Lachen. Ein Overkill! Eine Menschenmasse, die sich am Leid anderer ergötzen wollte. Nach der Berichterstattung der letzten Wochen und Monate zu urteilen, ging es den wenigsten dort darum, unvoreingenommen wahrheitsgemäß zu berichten und ihre Pflicht als Kontrolle der Justiz ernst zu nehmen.
Ich war also von vornherein alles andere als entspannt. Das Wissen, in wenigen Stunden einem törichten Gericht Rede und Antwort zu stehen und an dieser Meute sensationsgeiler und rücksichtsloser Medienheinis vorbeizumüssen, machte es nicht besser.
Mein Anwalt holte mich mit seinem Auto ab. Wolfgang Kutsch ist ein junger Mittdreißiger, ein selbstständiger Strafverteidiger aus Köln, der für mich nun die Rolle eines Zeugenbeistands einnahm, ein freund licher und lustiger Mensch, der zufälligerweise auch noch meinen Musikgeschmack hatte. Das ist immer gut. Ich war froh, ihn zu sehen und ihn an diesem Tag an meiner Seite zu haben. Wir fuhren Richtung Mannheim-Hauptbahnhof, wo wir mit der Heidelberger Kripo verabredet waren, um in deren blickdichtes Auto umzusteigen und ins Landgericht zu fahren. Wir waren ein bisschen zu früh da, und so beschlossen wir, noch einen Tee zu trinken, einen Muffin zu essen, den ich dann doch nicht herunterbekam, und natürlich so viele Zigaretten wie möglich zu rauchen, bevor wir ins Gericht mussten. Die Kripo rief zwischenzeitlich an und sagte, dass sich alles um mindestens eine halbe Stunde verzögern werde. So hatten wir noch ein wenig Zeit, den Ablauf zu besprechen.
Ich erzählte meinem Anwalt, was ich vorhatte. Mir war zwar klar, dass das auch für mich ein riskantes Verfahren sein könnte, wenn ich ein Gericht derart angriff, wie ich es mir vorgenommen hatte. Aber ich wollte das alles nicht nur für Jörg machen, sondern auch für mich, um jederzeit vor den Spiegel treten und mir sagen zu können: Ich habe keinen Unschuldigen wider besseres Wissen verleumdet oder ihm absichtlich geschadet. In einer Situation wie dieser, die nun wirklich nicht alltäglich ist und in der die Versuchung besteht, sich seinen verletzten Gefühlen auszuliefern und eine rachsüchtige Wahnsinnige zu werden, ist diese Devise ein guter Wegweiser und hilft nachts beim Einschlafen. Das eigene Gewissen lässt sich nicht dadurch beschwichtigen, dass man von »Aufarbeitung« einer Beziehung spricht oder das altruistische Motiv vorgibt, andere Frauen vor Jörg schützen zu wollen, indem man Schmutzige-Wäsche-Interviews über den Ex gibt. Menschen, die auf andere noch eintreten, wenn sie schon am Boden liegen, haben in meiner Welt kein Mitleid verdient. Das sind Menschen, die sich jenseits von Gut und Böse bewegen.
Es gibt eben im Leben keine Ausnahmesituationen, in denen Gerechtigkeitssinn und Menschlichkeit legitim außer Kraft gesetzt werden können und ihre Gültigkeit verlieren – entweder man hat diese Prinzipien, dann muss man sie auch in jeder Situation, in die man gerät, aufrechterhalten, gerade wenn es schwerfällt, oder man hat sie eben nicht. Außerdem war ich davon überzeugt, dass es der einzige Weg war, das Gericht wachzurütteln, und dass es meine Pflicht war gegenüber einem Menschen, den ich einmal gut kannte und den ich einmal liebte, die Wahrheit in einer für ihn so gefährlichen und existenziell bedrohlichen Situation mit aller Überzeugungskraft auszudrücken. Das ist mein Verständnis von menschlichem Umgang miteinander, und ich hätte meine Brandrede auch dann gehalten, wenn Jörg mir in der Zeit seiner Verhaftung hätte ausrichten lassen, dass er mich nie wiedersehen möchte. Das hätte nichts geändert, ich hätte trotzdem vor Gericht ausgesagt: Ein Vergewaltiger ist er trotzdem nicht! Die Beziehung, die zu Jörg bestand oder nicht bestand, war auf Eis gelegt, und sie zu besprechen und zu klären lag für mich
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