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Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Titel: Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kachelmann , Miriam Kachelmann
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in weiter Ferne.
    Ich erzählte also meinem Anwalt von meiner vorbereiteten Brandrede, und er überlegte. Er gab zu bedenken, dass ich vermutlich recht hätte, aber dass sie meinem Vorhaben, nämlich dem Gericht nahezubringen, dass es einem falschen Glauben anhänge, nicht dienlich wäre. Nach längerer Diskussion überzeugte Kutsch mich mit dem Argument, dass es nach seiner Erfahrung weit mehr helfen würde, wenn das Gericht den Eindruck einer neutralen Zeugin hätte, und dass man ihm die Entscheidung, wie es meine Aussagen zu werten hätte, nicht abnehmen sollte.
    Dass ich als »Meinungs-« beziehungsweise »Leumundszeugin« aller dings sowieso niemals neutral sein konnte, müsste ein Gericht wissen, fand ich. Letztendlich war die Anhörung der »Meinungszeuginnen« ja genau deswegen von der Staatsanwaltschaft beantragt worden, weil diese erwartete, dass unsere Meinungen über Jörg keine guten sein würden. Ich entschied mich trotzdem, den Rat meines Anwalts zu befolgen, dem Gericht meine aufgestaute Wut und meinen Ärger vorzuenthalten und eine freundliche, wohlgesinnte Frau zu sein, die dem Gericht Achtung und Respekt entgegenbringt, den die Kammer aus meiner damaligen wie aus meiner heutigen Sicht eigentlich schon längst verspielt hatte.
    Das war ein sehr schwerer Akt, innerhalb kürzester Zeit die innere Agenda zu verändern. Ich verwarf meinen Monolog und versuchte, mich auf das Wesentliche zu konzentrieren und mein Temperament unter Kontrolle zu halten.
    Nach der halben Stunde Verzögerung trafen wir am Mannheimer Hauptbahnhof Beamte von der Kripo Heidelberg. Eine kleine Frau, die mich etwas seltsam angrinste, und ein freundlicher älterer Kripobeamter nahmen uns in Empfang, und wir stiegen in einen silbernen Van mit verdunkelten Scheiben. Die Beamten hatten sich freundlicherweise große Mühe gegeben, uns vor neugierigen Blicken zu verbergen, indem sie sogar das Fenster zum Fahrerhaus noch mit einem Stück Pappe abgedeckt hatten. Mein Anwalt und ich konnten von innen nach außen schauen, aber niemand zu uns hinein. Wir sahen das Spektakel der rennenden Kameramänner und Fotografen, die bei unserer Ankunft so wirkten, als würden sie um ihr Leben laufen, als sie die Verfolgung aufnahmen. Einer hat sogar versucht, durch einen winzigen Spalt, der durch ein ausgeklapptes Fenster hinter der Rücksitzbank entstand, zu filmen. Es war unglaublich.
    Wir stiegen aus und wurden von einem freundlichen tätowierten Polizisten mit, wenn ich mich recht erinnere, Dienstwaffe, Hand schellen und Funkgerät am Gürtel in Empfang genommen, der uns durch den Keller des Landgerichts zum Zeugenraum neben dem Saal 1 brachte. Er lief immer vor, schloss jeweils eine der vielen Türen auf, ließ uns passieren und schloss hinter uns wieder zu. Es war ein beklemmendes Gefühl. Wir gingen an den Zellen des Gerichts vorbei, wo vermutlich die angeklagten Untersuchungshäftlinge während ihres Prozesses in den Pausen warten müssen. Alles war in einem Taxigelbton gehalten.
    Der Zeugenraum war ein helles, vielleicht zehn Quadratmeter großes Zimmer im Erdgeschoss (oder Hochparterre) des Gebäudes. In der Mitte stand ein grauweißer Bürotisch mit ein paar Stühlen und gegenüber war ein Fernseher mit aufmontierter, jedoch inaktiver Kamera. Rollos waren vor den Fenstern. Ich saß auf einem Stuhl mit dem Rücken zum Fenster, hatte den Mantel ausgezogen und versuchte ruhig zu bleiben. Die ursprüngliche Zeit meiner Ladung war schon überschritten, es war nach vierzehn Uhr dreißig. Wir warteten. Irgendwann kam der nette Polizist zurück und brachte ein Funkgerät, das er in die Mitte des Tisches stellte. Er sagte, dass wir ihn rufen könnten, wenn etwas sei. Mein Anwalt machte ein skeptisches Gesicht, da wir uns auch über die bevorstehende Aussage unterhielten, und schaltete das Gerät aus.
    Wir warteten, und meine Anspannung wuchs mit jeder Minute. Kutsch, mein Anwalt, hat zwar viel unternommen, um mich zu beruhigen, aber es gelang mir nur schwer, mich zu entspannen. Ich erinnere mich insgesamt nicht gut an diese lange Zeit des Wartens, weil ich zu sehr mit meinen Gedanken bei dem war, was mir bevorstand. Sicher weiß ich nur noch, dass das Warten unerträglich war. Zu einem Zeitpunkt, an dem ich dachte, dass es jetzt bestimmt noch eine Weile dauern würde, kam der Polizist herein und sagte, dass ich jetzt dran sei.
    Wir standen auf und gingen über den Gang durch einen Nebeneingang seitlich in den Saal. Von den Sitzplätzen der Zuschauer

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