Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
aus gesehen kamen wir von links herein, also von dort, wo Staatsanwaltschaft und Nebenklage ihre Plätze hatten. Ich musste an ihnen vorbeilaufen und mich sehr bemühen, ihnen nicht einen vernichtenden Blick zuzuwerfen – gut, das wäre auch kindisch gewesen, ich hätte es aber trotzdem gerne gemacht. Von uns aus links war jetzt die Richterbank – die Richter betraten zeitgleich mit uns den Saal, von einem Raum hinter der Richterbank –, und direkt vor mir die Verteidigerbank mit Jörg.
Ich sah ihn nicht an. Mit Absicht nicht, denn ich wusste nicht, was ein Blickaustausch nach so langer Zeit mit mir machen würde. Schließlich hatte ich ihn geliebt, und das war auch noch nicht vorbei, nur weggeschoben und irgendwie neutralisiert, zumindest für die Zeit des Kampfes, all das auszuhalten. Der plötzliche und unerwartete Abschied auf unbestimmte Zeit am Frankfurter Flughafen war sehr einschneidend gewesen und seine Dramatik noch immer präsent. Die erwartungsvollen Reporter und die Zuschauer, die rechts von uns saßen und gerade wieder in den Saal kamen (es hatte zuvor eine kurze Pause gegeben), versuchte ich weitgehend zu ignorieren. Mein Blick war neutral freundlich, so hatte ich es mir jedenfalls vorgenommen, und ich glaube, dass er mir gelungen ist. In der Mitte zwischen Anklage- und Verteidigerbank stand ein kleiner weißgrauer Tisch mit zwei Stühlen und einem Mikrofon, dorthin ging mein Anwalt zielstrebig, und nachdem der Vorsitzende Richter Michael Seidling mich harsch aufgefordert hatte, mich zu setzen, nahmen wir dort gemeinsam Platz.
Nun saßen wir mit dem Rücken zu den Zuschauern, links die Staatsanwaltschaft und Rechtsanwalt Franz, der Nebenklagevertreter von Frau Dinkel, und rechts von uns Rechtsanwalt Birkenstock, Jörg, Rechtsanwalt Klaus Schroth, ein weiterer Verteidiger Jörgs, den Birkenstock wohl vor allem als Unterstützung für die Haftbeschwerde vor dem OLG Karlsruhe ins Boot geholt hatte und der nun auch im Prozesssaal anwesend war, und Rechtsanwältin Combé. Vor mir ganz links auf zwei Stühlen in die Ecke gedrängt, die beiden Ersatzschöffen, dann frontal vor mir, von links nach rechts, der erste Schöffe – ein freundlich aussehender älterer Herr mit Brille –, Dr. Joachim Bock – der Beisitzende Richter –, dann der Vorsitzende Michael Seidling, als Berichterstatterin die Richterin Daniela Bültmann, neben ihr der zweite Schöffe, ein jüngerer Herr mit wenig Haarwuchs, der ernst guckte. Daneben wiederum saß ein Ersatzrichter, ein junger aufgeweckter Mann mit kurzen schwarzen Haaren. Rechts neben ihm saß an einem Computer der Protokollführer. Kutsch hatte rechts von mir Platz genommen. Schräg neben mir an anderen Tischen saßen die Gutachter – an diesem Tag waren anwesend Prof. Dr. Mattern (Rechtsmediziner aus Heidelberg), Prof. Dr. Pleines (Psychiater aus Heidelberg zur Begutachtung von Jörg), Prof. Dr. Greuel (Aussagepsychologin aus Bremen) und die von der Verteidigung bestellten Gutachter, die der Vorsitzende trotz Antrag der Verteidigung nicht auf die Ladungsliste des Gerichtes gesetzt hatte: Prof. Dr. Brinkmann (Rechtsmediziner und Jurist aus Münster), Prof. Dr. Elliger (Psychologe und Psychiater aus Köln) und Prof. Dr. Markus Rothschild (Rechtsmediziner aus Köln), der wie auch der Hamburger Rechtsmediziner Prof. Dr. Klaus Püschel ein Gutachten zu den Verletzungen der Nebenklägerin erstellt hatte.
Es war laut im Saal, die Richter ordneten ihre Unterlagen und besprachen sich noch kurz untereinander, ebenso die Staatsanwaltschaft. Herr Franz, der Nebenklagevertreter, saß einfach nur da und guckte. Hinter Kutsch und mir gab es rege Unterhaltungen im Zuschauerbereich. Ich versuchte, möglichst geradeaus zu sehen, damit das Publikum hinter mir so wenig wie möglich von mir erkennen konnte. Nicht weil ich mich für etwas schämte, sondern weil ich irgendwelchen Gaffern, die scharf darauf waren zu sehen, wie ich aussah und wie ich mich verhielt, nicht die geringste Information gönnte. Denen, die anwesend waren, um sich ein eigenes Bild vom Sachverhalt zu machen, neutral zu berichten und der Justiz als Bürger und Journalisten auf die Finger zu schauen, war mein Aussehen eh egal.
Kutsch guckte im Saal umher. Er erklärte mir zur Ablenkung, wer wer war, und erzählte mir, was hinter meinem Rücken so geschah. Zudem machte er Witze, um mich aufzumuntern, wie den über den selbst erdachten Zeitungsbericht in der Bild von morgen: »Die große, junge Studentin mit dem
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