Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
wallenden, kastanienbraunen Haar …« Ich musste lachen. Am nächsten Tag stand es tatsächlich so ähnlich in der Zeitung, was mich nicht weiter wunderte.
Nach wenigen Augenblicken des Geraunes und Geraschels nach dem Setzen ergriff der Vorsitzende das Wort und begann meine Personalien abzufragen. Name, Vorname und so weiter. Mein Nachname und die Angabe »ledig« brachte das Gericht schon zum ersten Mal ins Stocken, denn man konnte sich nicht vorstellen, dass ich ledig war, aber dennoch einen anderen Namen als meinen Geburtsnamen trug. Die Möglichkeit, dass meine Mutter einen anderen Mann als meinen Vater geheiratet und ich dessen Namen angenommen hatte, war ihrer unmittelbaren Lebenserfahrung wohl fremd. Das musste erst erklärt werden. Man erfragte mein Geburtsdatum, meinen Wohnort, den ich erst nicht angeben wollte, dann aber anmerkte, dass ihn ja eh schon alle wüssten, und ihn daraufhin benannte. Danach wurde ich nach meinem Beruf gefragt, woraufhin man jetzt auch noch wissen wollte, was genau ich denn studierte. Dass die Antwort »Psychologie« sein würde, wusste das Gericht; dass es nicht unbedingt üblich ist, auch noch nach dem Studiengang zu fragen, bemerkte ich an der etwas unsicheren Nachfrage des Richters. Offenbar versprachen sie sich etwas von meiner Ausbildung und meinten, diese öffentlich betonen zu müssen.
Meine Stimme versagte zu meiner Überraschung bei der Beantwortung der ersten Fragen, und ich begann lauter und bestimmter zu reden, um diese Schwäche zu kaschieren. Der Richter belehrte mich, dass man vor Gericht die Wahrheit sagen müsse. Das tat er aber wohl sehr dürftig, wie mein Anwalt verwundert in der Pause sagte. Kutsch erzählte mir, dass er das von den meisten Richtern ganz anders, ausführlicher kenne. Nach der Belehrung beantragte mein Anwalt den Ausschluss der Öffentlichkeit – für das Gericht nicht unerwartet, denn er hatte den Antrag schriftlich schon kurz zuvor eingereicht. Der Vorsitzende Richter Seidling fragte daraufhin die Verfahrensbeteiligten nach Einwänden: Staatsanwalt Oltrogge erhob seine sägende Stimme und erklärte, dass er sich gegen den Antrag verwehre, allerdings nur hinsichtlich der Fragen, in welchen es nicht um die Intimsphäre ginge. Nebenklagevertreter Franz stimmte unserem Antrag voll und ganz zu, die Verteidigung schloss sich Oltrogge an, möglicherweise aber auch Franz – ich konnte das Gemurmel von Birkenstock nicht verstehen. Das Gericht erhob sich und erklärte, sich kurz zur Beratung zurückzuziehen. Seidling wies Kutsch und mich an sitzen zu bleiben, Richter Bock wiederum sagte, wir sollten aufstehen und noch einmal in den Zeugenraum gehen. Das taten wir nach einer kurzen Phase der Verwirrung dann auch. Die Zuschauer verließen mit leisen bis lauten Unmutsbekundungen langsam den Saal, nicht ohne sich zwischendurch nach mir umzudrehen, wie mir Kutsch im Zeugenraum berichtete.
Zurück im Zeugenraum wich die erste Nervosität. Ich war jetzt schon einmal im Saal gewesen und hatte die ersten Fragen beantwortet. Ich begann, mich etwas zu entspannen und zu konzentrieren. Kutsch schien mir auch ein bisschen gelöster, und die knapp zwanzig Minuten, die wir jetzt wieder warten mussten, waren weitaus weniger schlimm als die Wartezeit zuvor. Nachdem der Polizist uns wieder abgeholt hatte, das ganze Prozedere des Hinsetzens und Ordnens noch einmal wiederholt worden war und alle Zuschauer wieder ruhig waren, verlas der Vorsitzende einen kurzen Text, in dem er sinngemäß verkündete, dass die Öffentlichkeit für die gesamte Vernehmung aus Rücksicht auf meine Privatsphäre und die intimen und privaten Lebensumstände, die während meiner Aussage vor Gericht erörtert würden, ausgeschlossen sei.
Er gab auch dem Antrag meines Anwalts statt, ihn als meinen Zeugenbeistand beizuordnen. Das bedeutete, dass die Staatskasse meine Anwaltskosten, die durch die Zeugenladung entstanden waren, erstatten musste – die es eigentlich gar nicht gebraucht hätte, wenn ein Gericht nicht den überflüssigen Wunsch gehabt hätte, mich in diesem Prozess zu vernehmen und mich dadurch der nach Schlagzeilen hungernden Presse auszuliefern. Ohne meinen Anwalt wäre ich hilflos gewesen, sowohl vor Gericht als auch in allem, was meine Zeugenladung durch das Gericht nach sich zog. Mir als Studentin war es nahezu unmöglich, einen Anwalt zu bezahlen. Die Lösung dieses Problems wäre der Verzicht auf meine Ladung durch das Landgericht Mannheim gewesen, das aber der
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