Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
schickte ich folgende Mail ab:
»Schönen guten Morgen,
Ihr Mandant, Herr Witte, hat mir geschrieben, allerdings gibt es bei E-Mails immer eine Restunsicherheit. Bevor ich mit ihm Kontakt aufnehme, würde ich gerne seine E-Mail verifizieren und zu diesem Behuf ein paar Worte mit Herrn Schwenn wechseln. Wann ist dies möglich? Ich bin gerade in einer Zeitzone neun Stunden hinter der Ihren und würde mich dennoch über einen Anruf freuen, wenn Herr Schwenn Zeit hat, gerne auch mitten in meiner Nacht. Er erreicht mich unter […].
Herzlich, mit den besten Wünschen für einen guten Tag
Jörg Kachelmann«
Nichts passierte. Mist. Drei Stunden später hielt ich es nicht mehr aus und rief an. Herr Schwenn sei in Stuttgart unterwegs, würde sich aber am kommenden Tag gleich morgens melden, wenn er wieder im Büro sei. Unzufrieden und aufgeregt ging ich im kanadischen Busch ins Bett, nahm aber das Telefon vorsichtshalber mit.
Kaum war ich eingeschlafen, klingelte es. »Ja, Schwenn«, hörte ich die hanseatische Welt des Großmeisters zum ersten Mal und war sofort hellwach. Ich redete gar nicht mehr um die Sache drum herum, sondern sagte ihm gleich, dass ich mich nicht gut vertreten fühlte und ihn als meinen Verteidiger wollte.
Leider war Johann Schwenn von meiner Anfrage alles andere als begeistert. Birkenstock sei ein guter Anwalt, und er kenne ihn, eigentlich habe er auch viel zu tun und wenig Zeit.
Ich wurde sehr unglücklich in meiner kanadischen Nacht und begann nun einen vielleicht zwanzigminütigen Monolog, in dem ich die meisten Punkte aus Miriams Katalog abarbeitete, was hätte getan werden müssen, aber nicht getan wurde. Nun war er doch beeindruckt, weil er nach und nach den Eindruck bekam, dass meine Lage nicht so komfortabel war, wie sie als Unschuldiger mit einer eindeutigen Ausgangsposition sein müsste. Nach etwa einer Stunde des Bittens und einer Mischung aus Mitleid-erregen-Wollens und Sie-dürfen-mich-jetzt-nicht-hängen-lassen-Gefühl-Gebens hatte ich ihn rumgekriegt. Er sagte zu.
So wurde der 25. November 2010 ein guter Tag, und ich schickte ihm all die Miriam-Papiere, sagte ihm aber zunächst nicht, von wem sie stammten. Miriam wollte noch nicht als Autorin geoutet werden. Am deutschen Nachmittag des 26. November 2010, ich machte inzwischen das Frühstück und die Snackboxes für die Kinder, wurde ich schon ein bisschen mutiger und schickte Rechtsanwalt Schwenn das Kröber-Gutachten.
Ich bekam umgehend Post aus der Kanzlei zurück:
»Datum 26. November 2010 16:04
Betreff AW: Für Herrn Schwenn zur Erbauung
Sehr geehrter Herr Kachelmann,
ich gebe die Anlage an Herrn Schwenn weiter.
Ich habe Ihnen zur Information und event. Erbauung den gerade erschienenen Artikel von Herrn Schwenn im Cicero eingescannt und beigefügt.
Mit freundlichen Grüßen
Sekretariat«
In diesem Artikel beleuchtete Johann Schwenn bereits kritisch das Mannheimer Verfahren. Auch wenn fast sämtliche Medien mir nachher unterstellt haben, dass es in meinem Fall umgekehrt gewesen sein müsse: Ich habe Schwenns Cicero -Artikel, in dem er über meinen Prozess unter dem Titel »Die Pest unserer Tage« berichtet, erst nach der Mandatierung aus seiner Kanzlei erhalten und gelesen. Nach diesem Artikel waren wir überzeugter denn je, den richtigen Schritt getan zu haben. Schwenn ist jemand, der kompromisslos für einen Unschuldigen kämpft. Er hatte schon mit Andrea Combé telefoniert und gesagt, dass sie eine richtige und wichtige Verteidigerin sei, woran ich auch keinen Zweifel hatte. Nun musste ich den Herren Birkenstock und Schroth das Mandat entziehen.
Der Rückflug ging diesmal nach Amsterdam (in der Hoffnung, möglichst wenigen Deutschen im Flugzeug zu begegnen, die mit dem Handy rumfummelten), und es war schon fast dunkel im leichten Schneefall, als ich von unterwegs meine E-Mail abschickte, nachdem Anwalt Höcker Dr. Birkenstock schon mündlich informiert hatte. Eine eingehend begründete schriftliche Trennung war mir wichtig, weil ich den Journalisten, die sofort darüber spekulieren würden, ob Rechtsanwalt Birkenstock sein Mandat niedergelegt habe und was das wohl bedeuten mochte, notfalls würde zeigen können, wie es wirklich gewesen war. Miriam und ich hatten nicht lange an diesem Text gefeilt, er war schon in den dunklen Wochen des Frusts und der scheinbaren Ausweglosigkeit im Oktober und frühen November in unseren Köpfen und in Gesprächen präsent. Trotzdem schien es uns lange undenkbar, in unserer
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