Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
Freispruch ist rechtskräftig, da sowohl die Nebenklägerin Dinkel als auch die Staatsanwaltschaft ihre Revision zurückgezogen haben.
»Ja, Schwenn«
Nachdem ich festgestellt hatte, dass ein trauriger Birkenstock auch nicht fröhlicher wurde, als ich ihm sagte, dass ich anhand von E-Mails leicht widerlegen könnte, was immer die Schweizer Zeugin behaupten würde, wusste ich, dass wir etwas tun mussten. Miriam kam auf der anderen Seite des Atlantiks auf die gleiche Idee, und als die Kinder im Bett waren, trafen wir uns über Skype, überlegten, was zu tun war, und fingen an, Anwälte zu googeln. Miriam sagte, dass es auf vorgetäuschte Sexualstraftaten spezialisierte Verteidiger gebe, erinnerte sich an ein Zei t -Dossier über Verteidiger (http://www.zeit.d e / 200 1 /1 8 /200118_verteidiger.xml), und wir tippten die Namen der dort erwähnten Verteidiger ein, um sie uns genauer anzusehen. Wir machten das immer parallel und sahen schließlich ein Bild von Johann Schwenn. Miriam hatte den Namen schon gehört und fand, dass er gut und ein bisschen arrogant aussehe, und ich fand auch, dass er nicht wirkte, als ob er vor Mannheimer Provinzrechtsauslegern Angst hätte. Wir überlegten das Für und Wider, das ein solcher Verteidigerwechsel bedeutete, das Theater, das in den Medien entstünde, und dass behauptet werden würde, Birkenstock hätte das Mandat niedergelegt. Wir wussten ja auch nicht, ob Schwenn wollte oder konnte. Deshalb beschlossen wir zunächst, Schwenn in den nächsten Tagen anzurufen. Tags darauf erhielt ich eine E-Mail.
»Guten Tag Herr Kachelmann.
Datum 24. November 2010 20:18
BetreffWichtig
Ich weiß nicht, ob diese Mail Sie persönlich erreicht, aber ich glaube, dass ich es mal auf diesem Weg versuchen sollte. Mein Name ist Ralf Witte, und ich bin vor Kurzen am LG Lüneburg von dem Vorwurf der Vergewaltigung freigesprochen worden, dank des besten Anwalts diese Landes (Herrn Johann Schwenn) aus Hamburg. Ich verfolge Ihren Fall mit großem Interesse, und ich glaube, Sie sind nicht in den besten Händen mit Ihrem Anwalt, was wollen Sie machen, wenn Sie eine Revision brauchen? Dann hat Ihr Anwalt so ziemlich alles Material verschossen, sicher ist es sinnvoll, es gar nicht erst zu einer Revision kommen zu lassen, doch ich bekomme immer mehr das Gefühl, dass Sie mit diesem Anwalt eine brauchen werden.
Ich bin mir relativ sicher, dass Sie schon von unserem Fall gehört haben, ich habe fünfeinhalb Jahre unschuldig im Knast gesessen, Panorama, Menschen und Schlagzeilen haben darüber berichtet. Wenn es die Möglichkeit gibt, Sie mal persönlich zu sprechen, würde ich mich über einen Anruf unter der Telefonnummer […] freuen.
Mit freundlichen Grüßen
Ralf Witte«
Wow. Das konnte kein Zufall sein, fand auch Miriam als nicht gerade sehr christlich sozialisiertes Kind mit einer Jugend in Ostdeutschland. Zuerst schrieb ich eine übliche Routineantwort, weil schon viele Wahnsinnige sich als irgendwer ausgegeben hatten in der Vergangenheit:
Datum 24. November 2010 21:09
Betreff Re: Wichtig
Sehr geehrter Herr Witte,
vielen Dank für Ihre Mail. Zuerst möchte ich Sie beglückwünschen zur Freiheit und Ihnen meinen großen Respekt und meine Bewunderung bekunden, dass Sie das alles ausgehalten haben, was Sie zu Unrecht aushalten mussten. Meine 132 Tage unschuldig im Knast sind nichts im Vergleich zu Ihrer abgesessenen Zeit, und ich bin dankbar, dass Sie draußen sind, und ich befürchte, dass es noch viele Menschen sind, die wegen ähnlicher erfundenen Straftaten unschuldig einsitzen.
Ich würde Sie gerne anrufen, aber auch sicher sein, dass Sie’s sind, wie wir beide wissen, gibt es viel Wahnsinn auf der Welt. Schicken Sie mir bitte eine Passkopie oder Ihren Knastausweis mit Foto, ich schick Ihnen dann Entsprechendes und wir telefonieren morgen?
Herzlich
jk«
Miriam und ich waren wie elektrisiert. Wir müssen es sofort machen! Ein Zeichen! Oder wie die Freunde in den USA sagen würden: God at work. Uns ging es beiden schon besser, und Miriam blieb die ganze Nacht wach. Wir beratschlagten uns lange, und je länger wir diskutierten, desto entschlossener waren wir: Wir brauchten Johann Schwenn! Sofort!
Ich wollte mit ihm telefonieren, aber zunächst mussten wir eine subtile Annäherung versuchen, falls in der Kanzlei jemand sein sollte, der vielleicht nur das Telefon abnahm und meinen Anruf so spannend fand, dass er ihn sonstwo weitererzählte. Um einundzwanzig Uhr sech zehn pazifischer Zeit
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