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Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)

Titel: Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jörg Kachelmann , Miriam Kachelmann
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Situation nun auch noch den Verteidiger zu wechseln. Am Ende brauchte es eben »God at work«, um in Form der E-Mail von Ralf Witte das Quäntchen mehr auf die Mutseite der Waage zu bringen.
    Nach der adrenalinreichen Fahrt durch den Schneefall von Amster dam nach Hamburg traf ich zum ersten Mal Johann Schwenn in dessen Büro. Ich war fix und fertig, schon über sechsunddreißig Stunden wach und wie immer zu spät, aber er hatte gewartet. Zunächst machte er mir nicht allzu sehr Mut. Er beurteilte die Situation so, wie ich sie auch sah: eine Kammer auf blindem Verurteilungskurs und ein schwieriger Weg, dem Gericht die Aussichtslosigkeit dieses Unterfangens nahezubringen. Schwenn hatte genau die hanseatische Helmut-Schmidtigkeit, die ich mir vorgestellt hatte.
    Andrea Combé war von dem Verteidigerwechsel zunächst nicht begeistert, zeigte sich aber nach dem Telefonat mit Schwenn optimistischer, dass sie in Zukunft über ihr erzwungenes Mauerblümchendasein (ich foppte sie immer mit dem Begriff »Stenotypistin« als Darstellung der ihr erlaubten Arbeit) als Protokollantin und Pulsfühlerin des Mannheimer Justizwahnsinns hinauswachsen dürfe. Wie die Geschichte zeigen sollte, durfte sie das; Schwenn überließ ihr das Hauptplädoyer, und Andrea Yvonne Combé wurde zu Recht national bekannt und geschätzt. Der Tag ihres Plädoyers war wieder ein Moment, an dem ich in Dankbarkeit an die Solidarität meiner Knastkumpels dachte, die mir ohne Hinterhalt den richtigen Ratschlag gegeben hatten. Es war für mich immer klar, dass Combé bei diesem Prozess an meiner Seite bleiben sollte, und zusammen mit Johann Schwenn hoffte ich nun, spät, aber nicht zu spät, mein Dreamteam beieinanderzuhaben.
    Mit dem Verteidigerwechsel galt es auch Abschied zu nehmen von meiner kleinen Wohnung in Hürth, die ganze Vermieterfamilie hatte in schwerer Zeit mit Diskretion und Zuwendung zu mir gestanden, und wenn ich da war, gab’s immer auch mal ein paar Mandarinen auf dem Kühlschrank im Gang oder sonst etwas zu essen. In den schwierigen Zeiten, als sich die Mannheimer Richter noch sicher waren, mit einer Verurteilung durchzukommen, waren die Stunden in der Hürther Wohnung eine kleine warme Insel in einer kalten Welt, deren Grauen in der allabendlichen Fahrt nach Mannheim gipfelte. Miriam und ich hatten inzwischen in einem Kraichgaudörfchen dreißig Minuten von Heidelberg entfernt eine neue Bleibe gefunden, wo wir bis Ende Mai rund um die Prozesstage bleiben würden.
    Am 1. Dezember 2010 gab es den ersten Prozesstag mit Johann Schwenn. Ein Heimspiel insofern, als das Gericht wieder einmal zwei Frauen zu bearbeiten versuchte, die nun rein gar nichts Böses über mich berichten wollten und sich auch den Schmuddelblättern tapfer verweigert hatten. Auch hier hätten die Richter sicher gerne die Befragung, wie bei Miriam, auf mehrere Tage ausgedehnt, so überaus detailfreudig wühlten sie in der Intimsphäre völlig unbeteiligter Zeuginnen herum. Es muss eine Riesenenttäuschung gewesen sein, als ihnen am 1. Dezember 2010 Johann Schwenn in die Parade fuhr. Berichterstatterin Bültmann war sichtlich unzufrieden, weil die Zeuginnenaussagen so gar nichts Ungünstiges über den Angeklagten hergaben – so war das nicht vorgesehen. Sie ging die Zeugin immer ungehaltener an, die ausgesagt hatte, dass alles in voller gegenseitiger Übereinstim mung geschehen sei, und erklärte, dass sie da schon ein paar mehr Informationen haben wolle. Das war der Moment, an dem Schwenn Öffentlichkeit herstellen ließ, und zum ersten Mal musste das Gericht bei einer »Beziehungszeugin« damit umgehen, dass jemand vor Publikum und Presse die Methoden dieses Gerichts offenlegte und die Fragen als voyeuristisch und nicht der Sachaufklärung dienlich rügte.
    Schwenn hat mir nie erzählt, was seine Strategie sein würde. Was mir auch recht war; ich bin ein großer Anhänger einer arbeitsteiligen Welt – mir soll keiner in die Wettervorhersage labern, ich will auch nicht, dass mich ein Arzt in irgendwelche Scheindemokratisierungsdiskussionen à la »Welche Behandlung ziehen Sie denn vor?« verwickelt, und der Verteidiger eines Unschuldigen muss einfach nur das tun, was er gelernt hat: verteidigen.

Miriams Sicht: Aussagepsychologie
    Im Rahmen von Jörgs Verfahren und auch im Rahmen anderer Prozesse, in denen es um einen Vergewaltigungsvorwurf geht, wurde und wird so viel Mist von Journalisten und angeblichen Gerichtsberichterstattern über die Aussagepsychologie

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