Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
geschrieben und so viel Aberglauben selbst von »seriösen« Medien und Presseagenturen verbreitet, dass ich es für notwendig gehalten habe, einen kleinen Überblick über dieses Fachgebiet der Psychologie zu geben. Dieser hat keinen Anspruch auf Vollständigkeit – das wäre aufgrund der Komplexität dieser Disziplin hier gar nicht zu leisten, denn es gibt nicht nur sehr viel Literatur über Aussagepsychologie, sondern auch der Bundesgerichtshof ( BGH ) hat sich ausführlich mit ihr beschäftigt. Dennoch sollte schon dieser kurze Abriss reichen, um zu erkennen, dass die Informationen, die man hierüber regelmäßig von den Medien geboten bekommt, weitgehend durch Unwissen verzerrt und nicht selten schlicht falsch sind.
Aussagepsychologie ist eine Disziplin der Psychologie, die unter anderem dazu entwickelt wurde, der Justiz ein Instrument zu bieten, besser Recht zu sprechen, insbesondere in Fällen schwieriger Beweislage oder wenn Kinder als Belastungszeugen auftreten.
Die aussagepsychologische Begutachtung befasst sich mit der Frage, ob die Aussage einer zu begutachtenden Person als glaubhaft eingestuft werden kann oder nicht. Denn schließlich hängt gerade bei Konstellationen, in denen Aussage gegen Aussage steht, von einer solchen Einschätzung häufig der Ausgang des Verfahrens und damit die Existenz mindestens zweier Menschen ab. Der BGH hat gerade in sol chen Konstellationen erhöhte Anforderungen an belastende Aussagen festgelegt, die nur leider nicht von allen Gerichten beachtet, wenn überhaupt verstanden werden.
Im Normalfall geht es dabei nicht darum, ob eine Person grundsätzlich als glaubwürdig einzuschätzen ist, beispielsweise im Sinne einer rechtschaffenen Person, sondern um die Glaubhaftigkeit der Aussage, also ob die belastende Aussage der Wahrheit entspricht, beziehungsweise eine sogenannte Erlebnisbasiertheit aufweist. Untersucht wird dies anhand der Methode der kriterienorientierten Aussageanalyse.
»Gegenstand einer aussagepsychologischen Begutachtung ist – wie sich bereits aus dem Begriff ergibt – nicht die Frage nach einer allgemeinen Glaubwürdigkeit des Untersuchten im Sinne einer dauerhaften personalen Eigenschaft. Es geht vielmehr um die Beurteilung, ob auf ein bestimmtes Geschehen bezogene Angaben zutreffen, d. h. einem tatsächlichen Erleben der untersuchten Person entsprechen.« ( BGH , Urteil vom 30. Juli 1999)
Dieses Urteil des Bundesgerichtshofs baut auf zwei eigens dafür in Auftrag gegebenen Gutachten des Heidelberger Sozialpsychologen Prof. Dr. Klaus Fiedler und des Berliner Forensischen Psychologen Prof. Dr. Max Steller auf, die in ihrem Fachgebiet neben dem Kieler Psychologen Prof. Dr. Günter Köhnken und der Berliner Rechtspsychologin Prof. Dr. Renate Volbert als führend gelten. Dieser höchstrichterlichen Grundsatzentscheidung folgten eine Reihe anderer BGH -Urteile, die sich weiterführend mit den an Glaubwürdigkeitsgutachten zu stellenden Anforderungen beschäftigen.
Aussagepsychologische Gutachten funktionieren nach dem Prinzip: »In dubio pro reo« (im Zweifelsfall für den Angeklagten), das von der sich aus dem Grundgesetz ergebenden Unschuldsvermutung abgeleitet ist.
»Das methodische Grundprinzip besteht darin, einen zu überprüfenden Sachverhalt (hier: Glaubhaftigkeit der spezifischen Aussage) so lange zu negieren, bis diese Negation mit den gesammelten Fakten nicht mehr vereinbar ist.« ( BGH , Urteil vom 30. Juli 1999)
Der Sachverständige muss also zu Beginn der Begutachtung – ähnlich einem Richter, der die Unschuldsvermutung ernst nimmt – erst einmal annehmen, dass die behauptete belastende Aussage unwahr ist – die sogenannte Nullhypothese. Zusätzlich ist er dazu angehalten, Alternativhypothesen aufzustellen, die im spezifischen Fall relevant sein könnten. Beispielsweise könnte eine Aussage durch Fremd- oder Autosuggestionen oder durch mögliche psychische Beeinträchtigungen entstanden sein, oder es gibt Hinweise auf bestehende Falschbelastungsmotive und so weiter. Die Nullhypothese wird erst dann verworfen und stattdessen die »Erlebnisbasiertheit« angenommen, wenn am Ende der Begutachtung die Alternativhypothesen, die zur Prüfung der »Unwahrhypothese«angestellt wurden, schlüssig ergeben haben, dass es eben keine sinnvolle, durch Fakten gestützte Begründung dafür gibt, dass die Aussage unwahr ist.
Es gibt eine Reihe von Kriterien, anhand derer die Gutachter ihre Prüfung vornehmen. Die sollen hier allerdings schon deshalb
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