Recht und Gerechtigkeit: Ein Märchen aus der Provinz (German Edition)
steif und fest behauptet zu haben, mit der Messerschneide traktiert worden zu sein. Allerdings hielt dies selbst ihr Hausgutachter Mattern für unmöglich, sodass sie im Lauf der Zeit einen Salto rückwärts machen musste in Richtung Messerrücken. Nur daran hatte sie natürlich nicht in der Nacht der Präparation gedacht, das LKA fand ihre DNA nur an der Messerschneide (und von mir gar nichts). Also musste Dinkel im Mai 2010, als sie von der Aussagepsychologin Greuel befragt wurde, langsam die Kurve kriegen:
»Das ist, aber, ja, ich weiß es nicht. Ich hab’s nicht gesehen, wie rum er es gehalten hat. Ich hatte nur dieses Gefühl einfach immer nur, Gott, das ist ja so gezackt, das war ein Sägemesser, und ja, ich war mir eigentlich sicher in der Situation, dass es die Klinge ist.«
In der Hauptverhandlung kapitulierte Dinkel vor dem Dilemma und flüchtete sich vollends ins Nichtwissen: Sie wisse nicht, ob das Messer mit dem Rücken oder mit der Schneide ihr an den Hals gehalten worden sei.
Auch die angeblich in der nämlichen Nacht erlittenen Hämatome auf den Oberschenkeln erlebten kein einfaches Schicksal. Anlässlich ihrer gynäkologischen Untersuchung am 9. Februar 2010 in der Frauenklinik Heidelberg zeigte Dinkel der untersuchenden Ärztin zwei blaue Flecke an ihren Innenschenkeln vor. Sie gab an, die Hämatome erst dort, beim Ausziehen, bemerkt zu haben. In ihrer anschließenden Vernehmung mutmaßte sie, dass ich zwischen ihren Beinen gewesen sei. Es sei »möglich«, dass ich »auf ihren Oberschenkeln gekniet« sei, was sie aber durch ihre Angst nicht mitbekommen habe.
Die Hämatome waren für die im Strafprozess tätigen rechtsmedizinischen Sachverständigen ebenfalls nicht mit den Angaben von Dinkel zur angeblichen Tat in Einklang zu bringen. Professor Rothschild hielt dazu fest:
»Die Verletzte schildert keine Situation, die die Entstehung der Oberschenkelverletzungen plausibel erklären würde.«
Auch hier war das Fazit von Professor Rothschild im Ergebnis repräsentativ für die Schlussfolgerungen der anderen im Strafprozess befragten Sachverständigen.
Auf die Ergebnisse der Gutachten reagierte Dinkel im Lauf des Verfahrens ähnlich wie auf die Frage, ob ihr der Messerrücken oder die Messerschneide an den Hals gehalten worden sei: mit auswei chenden Mutmaßungen und von ihr selbst als angstbedingt erklärten angeblichen Wahrnehmungslücken. Im Hinblick auf die Hämatome trieb dieses Verhalten besonders seltsame Blüten. In ihrer Vernehmung in der Hauptverhandlung (das heißt nach Bekanntwerden der Ergebnisse der Gutachten) gab sie an, sie könne nicht ausschließen, dass sie sich die Hämatome beim Aufräumen der Wohnung in der Nacht selbst zugezogen habe, indem sie sich am Bett oder am Couchtisch gestoßen habe.
Die im Strafprozess befragten Gutachter waren einhellig der Auffassung, dass die Hämatome durch schmerzhafte Gewalteinwirkung entstanden sein müssen. Dass sie diese Einwirkung gar nicht bemerkt haben soll, war also bereits unplausibel. Völlig ausgeschlossen ist, dass Dinkel nicht gewusst haben soll, ob die Hämatome von mir oder von einem Anstoßen an Bett oder Couchtisch (an der Schenkelinnenseite!) stammen. Diese seltsame Mutmaßung – durch Anstoßen an Bett oder Couchtisch könnten zwei symmetrische Hämatome an den Schenkelinnenseiten entstanden sein – ist wiederum nur dadurch erklärlich, dass Dinkel ihre Aussage den zwischenzeitlich ihr bekannt gewordenen kritischen Ergebnissen der Gutachten anpasste und in Mutmaßungen auswich.
Die Sache mit den Hämatomen hatte Dinkel sehr wahrscheinlich geübt, denn im Februar des Vorjahres 2009 hatte sie zwei Fotos von einem in Form, Größe und Lage ähnlichen Hämatom auf ihrem Computer gespeichert. Die Staatsanwaltschaft entdeckte diese Fotos bei der Auswertung ihres Laptops. Im Hinblick auf dieses nur ein Jahr zuvor fotografierte Hämatom konnte sich Dinkel nicht mehr daran erinnern, wann und wie die Verletzung entstanden sei. Sie behauptete dazu, dass es sie »schon von klein auf fasziniert habe, wie sich der Körper selbst heile«. Ihre Eltern allerdings sagten vor Gericht, dass ihre Tochter nie blaue Flecken gehabt hätte, und so schwenkte Dinkel auf die Erklärung um, ich hätte wilde Dinge mit ihr gemacht und würde darauf stehen, dann solche Fotos zu bekommen. Da war dann wieder unpraktisch, dass sie diese Hämatomübungsfotos nie verschickt hatte und ich zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Entstehung der Hämatome weit weg bei
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