Rechtsdruck
Beschleunigungskräfte, denen er während des Unfalls ausgesetzt
war, dürften daran schuld gewesen sein.«
Die beiden Polizisten nickten.
»Hat er noch was gesagt?«, wollte Lenz wissen.
»Nein.«
»Das ist unsere Chance, Paul«, drängte Hain seinen Chef, als sie auf
die Ausfahrt Niederzwehren zurollten. »Noch weiß niemand, auch nicht Gebauer, dass
Weiler das Zeitliche gesegnet hat. Wir können ihm einfach vorhalten, was sein Kumpel
mir erzählt hat, und wir können ihm gleichzeitig klarmachen, dass Weiler Stein und
Bein schwören wird, dass es so gewesen ist. Bitte, Paul, lass es uns versuchen!«
Lenz, der das Für und Wider der Aktion mehr als ein Dutzend Mal gegeneinander
abgewogen hatte, nickte. »Wir machen es. Aber es kann sein, dass wir dafür die Hammelbeine
lang gezogen kriegen, weil mit Gebauer garantiert nicht zu spaßen ist. Und wir sollten
uns was Gutes auf die Frage nach dem Motiv überlegen, die uns Gebauer sicher stellen
wird, genau wie ich das getan habe. Warum in aller Welt sollte Gebauer Weiler beauftragen,
den Neonazi umzubringen?«
»Darüber habe ich mir in der letzten halben Stunde auch den Kopf zerbrochen,
aber bis auf eine ganz abstruse Idee ist mir dazu leider nichts eingefallen.«
»Und, wie geht deine abstruse Idee?«
»Könnte es nicht sein, dass sie dem jungen Bilgin den Mord in die Schuhe
schieben wollten, damit sie den Zeugen für die Fahrerflucht los sind? Und dass ihnen
die Geschichte mit Bilgins Eltern und dem kleinen Bruder, die ja offensichtlich
mit dem Tod von Schmitt nicht das Geringste zu tun haben, schlicht und ergreifend
dazwischengekommen ist? Dass sie dagesessen haben und sich geschüttelt haben vor
Lachen, weil Kemal Bilgin plötzlich nicht wegen einfachem, sondern gleich wegen
dreifachem Mordverdacht gesucht wurde?« Hain warf seinem Chef einen Blick zu, der
nach Zustimmung suchte. »Ich bin übrigens wegen des anonymen Anrufes darauf gekommen.
Warum sonst sollte jemand, wenn er nicht ein solches Interesse hätte, die Polizei
anrufen und die Sache melden? Wie ich schon gesagt habe, kamen ihnen die Morde an
der türkischen Familie, die vermutlich ganz anders motiviert waren, sehr gelegen,
was sie aber nicht ahnen konnten, ist die Tatsache, dass ihr eigener Mord im Krankenhaus
vertuscht werden sollte.«
Lenz runzelte die Stirn. »Es könnte immerhin sein, dass ein Mitarbeiter
des Klinikums sein Gewissen entdeckt und deswegen die Kollegen informiert hat.«
»Das könnte natürlich auch sein, aber ich will es nicht glauben, weil
es verdammt noch mal meine gesamte Indizienkette sprengen würde. Und das kann und
will ich schon deshalb nicht zulassen, weil wir sonst Gebauer einfach davonkommen
lassen würden. Vermutlich jedenfalls.«
Der Hauptkommissar schloss die Augen und dachte ein paar Sekunden lang
nach. »Das Eis, auf dem wir uns bewegen, ist brutal dünn, Thilo.«
»Ich weiß, Paul. Und mit jeder Minute, die wir verstreichen lassen,
wird es dünner und dünner, weil irgendwann die Nachrichtenagenturen melden werden,
wer da heute Morgen auf dem verschneiten Acker an der A49 seinen letzten Schnapper
gemacht hat.«
39
Justus Gebauer sonnte sich noch immer im Glanze seiner gelungenen Auftritte
vom Morgen. Zunächst hatte er mit dem Chefredakteur der Lokalzeitung ein langes
Interview geführt und sich danach den Anfeindungen der Studioleiterin des Senders
FFH erwehrt, die ihn für einen populistischen Spinner hielt; zumindest hatte er
diesen Eindruck von ihr gehabt. Dann war er in seine Kanzlei gefahren und hatte
erleben müssen, wie vor dem Eingang eine Horde von vermutlich türkischen Migranten,
im Zaum gehalten von mindestens zwei Dutzend uniformierter Polizisten, mit großen
Plakaten in der Hand gegen ihn demonstrierte. Einer hatte sogar versucht, seinen
Wagen mit etwas zu bewerfen, ihn jedoch glücklicherweise verfehlt. Was bildeten
sich diese Leute eigentlich ein? Noch aus der Tiefgarage heraus hatte er mit einem
guten Freund bei der Staatsanwaltschaft wegen Personenschutz telefoniert.
Nun saß er in seinem Büro und dachte darüber nach, dass er stark würde
sein müssen in den nächsten Wochen und Monaten. Er musste stark sein, um seine Ziele
zu erreichen und sich an die Spitze einer Bewegung zu setzen, die er selbst initiiert
hatte.
Seine Sekretärin kam nach einem kurzen Anklopfen mit einem Stapel Papiere
in der Hand herein. »Das sind alles Interviewanfragen, Herr Dr. Gebauer.«
»Legen Sie sie auf den Tisch, Frau Scheibe, ich kümmere mich
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