Rechtsdruck
näherte sich langsam und devot dem untersetzten Mann, der ihn in eine
Wolke aus Zigarettenqualm hüllte, und flüsterte ihm etwas ins Ohr, wobei er mit
dem Kopf auf die beiden Kripobeamten an der Theke wies. Im Anschluss zog er sich
wieder hinter die Theke zurück und begann, Gläser zu polieren. Sein vermeintlicher
Onkel kam auf die Polizisten zu, zog noch einmal an seiner Zigarette, und drückte
die noch nicht einmal halb gerauchte Kippe in einem Aschenbecher aus, der einsam
hinter dem Thekenbrett stand.
»Yilmaz Onan, ich bin der Besitzer des Restaurants«, stellte er sich
kurz angebunden und ohne jede Spur von Freundlichkeit vor. »Was wollen Sie von mir?«
»Hain, Kripo Kassel«, erwiderte der Oberkommissar. »Das ist mein Kollege
Lenz. Wir hätten ein paar Fragen an Sie wegen eines Gewaltverbrechens, das sich
gestern hier in Kassel ereignet hat.«
»Und mit dem ich garantiert nichts zu tun habe«, zischte Yilmaz Onan.
»Und zu dem ich auch ganz bestimmt ohne meinen Anwalt nichts sagen werde.«
Lenz, der ihn während er sprach von oben bis unten gemustert hatte,
zog erstaunt die Augenbrauen hoch. »Wollen Sie nicht wenigstens wissen, von welchem
Verbrechen mein Kollege spricht?«
Der Restaurantbesitzer machte eine wegwerfende Handbewegung, griff
nach einem Gefäß mit Zahnstochern, das auf der Theke stand, nahm eines der filigranen
Hölzer heraus, und steckte es in den Mund. »Interessiert mich nicht. Ich weiß nichts,
ich habe nichts gesehen, und wenn Sie mit mir sprechen wollen, laden Sie mich vor.
Ob ich dieser Einladung Folge leisten werde, bespreche ich mit meinem Anwalt. Wenn
er ja sagt, gut, wenn nein, dann nicht.«
Dich muss man doch liebhaben, fiel Lenz zu dem Auftritt des Mannes
ein, er behielt den Gedanken jedoch für sich. Was ihn allerdings beeindruckte, war
das akzentfreie Deutsch, das er von Yilmaz Onan zu hören bekam.
»Leben Sie schon lange in Deutschland, Herr Onan?«
Der Zahnstocher landete neben der noch leicht dampfenden Kippe im Aschenbecher.
»Lange genug um zu wissen, was ich mir von Ihnen gefallen lassen muss,
und was nicht. Ich weiß, dass ich nicht mit Ihnen sprechen muss, meine Herren. Wenn
Sie etwas essen wollen, essen Sie, wenn Sie etwas trinken wollen, trinken Sie. Aber
wenn Sie etwas von mir persönlich wollen, vergessen Sie es am besten gleich wieder.
Das …«
Er brach ab, weil ein Raunen durch das Restaurant ging, und warf einen
Blick zu dem Fernseher über seinem Kopf. Dort war das markante Konterfei von Justus
Gebauer zu sehen, das die Kripobeamten auch ohne den Untertitel mit seinem Namen
erkannt hätten.
»Das ist doch ein türkischer Kanal«, wunderte sich Hain, der noch keine
Ahnung von der etwa zwei Stunden zurückliegenden Pressekonferenz hatte. »Hat es
unser guter Justus jetzt schon bis ins türkische Fernsehen geschafft?«
Yilmaz Onans Gesichtsausdruck, der schon zuvor nicht als freundlich
zu bezeichnen gewesen war, verfinsterte sich um ein paar weitere Nuancen, als er
hinter die Theke griff und eine Fernbedienung auf die Monitore richtete. Sofort
wurde der Ton lauter und eine aufgeregte türkische Frauenstimme erklang, jedoch
war die deutsche Stimme von Gebauer im Hintergrund gut zu verstehen.
Nach ein paar Sekunden des Schweigens hob der Erste der Restaurantbesucher
den Arm, ballte die Faust und wies damit drohend in Richtung des Bildschirms, einige
andere taten es ihm gleich. Lenz, der trotz des nun einsetzenden Gebrülls konzentriert
zu verstehen versuchte, was der deutsche Jurist da im türkischen Fernsehen verbreitete
und damit für solch einen Unmut sorgte, beugte sich zur Seite.
»Kannst du verstehen, was der da erzählt?«, fragte er seinen Kollegen.
Hain schüttelte den Kopf. »Nicht wirklich.«
»Ist das hier in Kassel?«
Die Antwort auf die Frage des Hauptkommissars wurde in diesem Augenblick
in Form des Hotelnamens und der Stadt eingeblendet, in der sich die Szene abgespielt
hatte.
Der Ärger unter den Gästen des Restaurants wurde mit jedem Statement
größer, das der deutsche Jurist von sich gab. Nun hielt die Kamera auf Gebauers
Gesicht, dann fror das Bild ein und wurde von einem Kommentar aus dem Off in türkischer
Sprache unterlegt.
»Irgendwie scheint das, was er von sich gibt, hier nicht auf große
Gegenliebe zu stoßen«, bemerkte Hain überflüssigerweise.
»Da hast du recht«, stimmte Lenz zu und sah in die Runde, wo viele
Männer mit hasserfüllten Mienen auf die Fernseher starrten. Nur ein paar wenige
im Hintergrund
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