Rechtsdruck
verfolgten eher gelangweilt und mit stoischem Gesichtsausdruck die
Sendung. Allerdings war deutlich zu erkennen, dass einige Gäste den Blick von den
Monitoren gewandt hatten und die beiden an der Theke sitzenden Polizisten fixierten.
»Hast du wirklich gar nichts von dem verstanden, was Gebauer gesagt
hat?«
»Nein, kein Wort. Und wenn du mich fragst, sollten wir auf der Stelle
zahlen und gehen, was meinst du?«
»Ist bestimmt besser.«
Der Hauptkommissar ließ einen Fünf-Euro-Schein auf die Theke segeln
und hielt zielstrebig auf die Ausgangstür zu, doch noch bevor er sie erreicht hatte,
flog ein Glas in seine Richtung und zerschellte neben seinem rechten Fuß. Hain,
der sich etwas mehr Zeit gelassen, und im Augenwinkel den Werfer ausgemacht hatte,
drehte sich um und wollte auf den Mann zugehen, doch Lenz stoppte ihn.
»Lass es, Thilo«, rief er. »Das bringt jetzt nichts.«
Thilo Hain, nicht unbedingt bekannt als der Prototyp des Ich-hab-die-Ruhe-weg-Kommissars,
bedachte den Mann am Tisch, der ihn nun auch noch hämisch grinsend angaffte, mit
einem Blick der Marke da hast du aber Glück gehabt, mein Freund , und folgte
wütend seinem Chef. Vor der Tür zog er den Kragen seiner Jacke hoch, drehte sich
noch einmal um, und sah durch die große Glasfront ins Innere des Restaurants.
»Das ist doch jetzt alles nicht wahr, oder?«, ließ er seiner Empörung
freien Lauf. »Spinnen die denn?«
Lenz hatte schon ein paar Meter zwischen sich und den Eingang zum Restaurant
gelegt und machte keine Anstalten, auf die Worte seines Kollegen einzugehen.
»Hey, Paul, was ist los mit dir?«, rief Hain hinter ihm her.
An der nächsten Straßenecke blieb der Hauptkommissar stehen und wartete.
»Ich hab mir fast in die Schuhe geschissen, Thilo, das ist los. Und
ich hab überhaupt keinen Bock auf Ärger mit diesen Leuten. Wahrscheinlich wäre nicht
mehr passiert als dieses eine fliegende Glas, aber auf den Beweis des Gegenteils
wollte ich es besser nicht ankommen lassen.«
»Na ja, immerhin flog es nach einem Polizisten.«
»Das ist mir scheißegal. Hast du gesehen, wie wütend die meisten von
denen urplötzlich geworden sind? Die waren so sauer, weil ein dahergelaufener deutscher
Expolitiker im türkischen Fernsehen irgendwas verbreiten durfte, von dem wir beide
nicht mal wissen, was es genau war.«
»Vielleicht hat er der Türkei offiziell den Krieg erklärt?«, frotzelte
Hain.
»Das glaube ich nicht, Thilo«, erwiderte Lenz ernst, »das hätte die
nämlich garantiert nicht mal halb so zornig werden lassen.«
26
Peter Frey, Praktikant in der Onlineredaktion der lokalen Zeitung,
blickte mit größer und größer werdender Verwunderung auf den Monitor vor seinen
Augen. Innerhalb der letzten vier Minuten waren 254 Kommentare von Lesern auf den
Artikel zu Gebauers Pressekonferenz eingegangen, den er kurz zuvor eingestellt hatte.
254 Kommentare! In vier Minuten!
Nun waren es bereits 266. Und die Zugriffsrate war aberwitzig. Frey
schnappte sich den Telefonhörer und wählte die Nummer von Stefan Schrader, seinem
Chef.
»Ich bin’s, Peter. Wir haben …«
»Ich habe es schon gesehen«, wurde er unterbrochen. »Der Server ist
schon an seiner Leistungsgrenze. Wenn das so weitergeht, sind wir in allernächster
Zeit offline.«
»Und was machen wir jetzt?«
»Das Einfachste wäre, wenn wir alle Kommentare der User direkt in den
Artikel laufen lassen würden.«
»Ich weiß«, stimmte Frey zu, »aber das würde bedeuten, dass ihr nicht
mehr mitlesen und regelnd eingreifen könnt.«
Der Praktikant sprach ein Problem an, von dem die meisten Onlineredaktionen
betroffen waren. Immer wieder wurden sie mit Kommentaren konfrontiert, die beleidigende,
diffamierende oder in anderer Weise verunglimpfende Passagen enthielten. Dem begegnete
man, indem alle Mails einer Vorsichtung unterzogen wurden, währenddessen ein kleines
Programm nach Wörtern im Text fahndete, die auf einem Index standen. Meistens wurden
jedoch alle Zuschriften noch einer weiteren Kontrolle durch die Redaktion unterzogen
und erst online gestellt, wenn der Inhalt als unbedenklich galt. In diesem speziellen
Fall allerdings war es weder möglich, alle nun schon 301 Kommentare zu lesen und
damit zu überprüfen, noch konnte man länger warten, weil sonst der Server, auf dem
die Nachrichten eingingen, hoffnungslos überlastet worden wäre.
»Stell den Krempel halt durch«, gab Schrader am anderen Ende der Leitung
sein O.K., »bevor hier wirklich alles den Bach
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