Rechtsdruck
selbstbewusst, jedoch keine ernsthafte Gefahr.
Justus Gebauer dagegen stellte eine solche dar. Er war eloquent, mit
allen politischen Wassern gewaschen, und, was wichtig war im politischen Geschäft,
er war vorzeigbar. Erich Zeislinger war auch einmal vorzeigbar gewesen, vor mehr
als 20 Jahren. Mittlerweile konnten sich glücklicherweise die wenigsten daran erinnern,
wie er einmal ausgesehen hatte.
Doch was dem amtierenden OB die meiste Angst einflößte, war der Mut
des Herausforderers, sich weit jenseits allen Demarkationslinien am rechten Rand
des Parteienspektrums zu positionieren; dort, wo sich bisher niemand hingetraut
hatte, der nicht komplett wahnsinnig oder als politischer Spinner anzusehen war.
Justus Gebauer war weder wahnsinnig noch ein politischer Spinner. Er
war ein Mann, der, mit einer bekannten Ausnahme in seinem Leben, die Dinge, die
er in die Hand nahm, sehr gut bis perfekt plante.
Hätte er diesen verdammten Krüppel damals doch nur totgeschlagen, wünschte
Zeislinger sich insgeheim. Einem Totschläger würden die Leute nie verzeihen, niemals.
Aber eine billige, kleine Körperverletzung? Mit einer vernünftig angelegten Kampagne
würde das eher noch zu seinen Gunsten ausgelegt werden von den doofen Wählern. Vom
Saulus zum Paulus, oder so. Und die Themen, die Gebauer sich herausgegriffen hatte,
brannten den Leuten wirklich unter den Nägeln, das wusste Zeislinger. Aber sich
einfach in eine Pressekonferenz setzen und dazu Stellung beziehen?
Völlig unmöglich, auch wenn es noch so richtig ist, hätte der OB bis
vor einer halben Stunde jedem seiner Berater an den Kopf geworfen, der ihm einen
Tipp in diese Richtung gegeben hätte. Doch nun war alles anders geworden.
Zeislinger holte tief Luft, setzte sich aufrecht hin, und nahm den
Hörer des Telefons in die Hand. »Ich will in spätestens einer Minute alle drei hier
sitzen haben«, bellte er seiner Sekretärin ins Ohr.
Damit waren seine drei persönlichen Referenten gemeint. Hilmar Schlacke,
sein Halbbruder, bekleidete am längsten einen der begehrten Posten, nämlich seit
mehr als sieben Jahren. Etwa vor vier Jahren hatte er Jens Kähler, einen ausgewiesenen
Medienfachmann, ins Boot geholt. Der Jüngste im Bunde war Bernd Zwingenberg, auf
den Zeislinger große Stücke gehalten hatte, als er ihm vor knapp einem halben Jahr
den Job anbot, doch die einstige Begeisterung war merklich abgekühlt, seit Zeislinger
zugetragen worden war, dass der junge Mann schwul und zu allem Überfluss auch noch
recht offen im Umgang damit war. Diese drei Männer nahmen also keine Minute, nachdem
Zeislinger den Auftrag dazu erteilt hatte, vor seinem Schreibtisch Platz.
»Ihr wisst, warum ihr hier sitzt«, begann der OB missmutig.
Alle nickten.
»Und warum muss ich euch erst hier antanzen lassen? Warum höre ich
nichts von euch? Immerhin verdient ihr euer Geld damit, mir den Hintern freizuhalten.«
Betretenes Schweigen auf der anderen Seite des Schreibtisches.
»Vielleicht habt ihr die Pressekonferenz ja gar nicht gesehen?«
»Doch, haben wir«, erwiderte nun Hilmar Schlacke gereizt. »Und ich
persönlich finde es scheiße von dir, Erich, dass du uns hier wie Schuljungen behandelst
und zu dir zitierst.«
»Soso, Schuljungen«, erwiderte Zeislinger ruhig, um direkt im Anschluss
ohne Vorwarnung zu explodieren. »Wie bescheuert seid ihr denn alle!«, brüllte er
in die Runde, ohne auch nur im Geringsten an einer Antwort interessiert zu sein.
»Ich werfe euch Monat für Monat einen Haufen Geld in den Rachen, um im entscheidenden
Moment allein hier rumzusitzen? So einen Haufen Penner wie euch hat die Welt noch
nicht gesehen. Erst sorgt ihr durch euer Unvermögen dafür, dass wegen dieses idiotischen
Formfehlers die letzte Wahl von dem blöden Idioten angefochten werden konnte, und
kaum haben wir uns auf die Situation eingestellt, kommt die nächste Scheiße über
den Acker.«
Die Männer auf der anderen Seite des Schreibtischs wussten, dass in
Situationen wie dieser jegliches Zucken oder Rühren wie auch der Versuch einer Widerrede
zwecklos waren. Also saßen sie mit hängenden Köpfen da und ließen die Tirade ihres
Chefs stumm über sich ergehen.
»Und wo wir gerade dabei sind, meine Herren: Vielleicht ist euch noch
nicht ganz klar geworden, dass das Ende meiner Amtszeit in diesem Raum auch das
Ende eurer Amtszeit bedeuten würde. Dann ist Schluss mit dem schönen Lenz, den ihr
euch hier auf Kosten der Steuerzahler macht. Aus und vorbei.«
Nun sah es so
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