Rechtsdruck
hereinfallen werden.« Wagner hob die Hand, als wolle
er um eine kurze Pause bitten, trat an die Kaffeekanne, und füllte seine Tasse auf.
»Dieser unausgesprochene, latente Ausländerhass hat doch längst Einzug in die besseren
Kreise gehalten, Paul«, fuhr er fort, nachdem er sich wieder in seinen Bürostuhl
fallen gelassen hatte. »Viele, die sich heute als bekennende Linke bezeichnen, haben
doch schon lange die Quartiere verlassen, in denen ihre eigenen Kinder mit einem
Haufen Migrantenkindern zur Schule gehen müssten. Links sein mit dem Maul ist immer
noch gut, aber gelebt wird auch von dieser Schicht eine strikte Trennung zu den
Ausländern. Und ich selbst kann mich natürlich auch nicht ganz frei davon sprechen,
manche dieser fundamentalistischen Islamtypen am liebsten mit dem Aufkleber ›Guten
Heimflug‹ auf dem Hintern Richtung Orient abschweben zu sehen.«
Er trank einen weiteren Schluck Kaffee, bevor er weitersprach. »Wenn
wir gerade dabei sind, Jungs: Würdet ihr gerne alleine zu einem Einsatz in Holland
Ende aufbrechen?«
Wagner bezog sich auf einen sozialen Brennpunkt in der Stadt mit hohem
Ausländeranteil. Das Wohngebiet links und rechts der vierspurigen Holländischen
Straße war seit vielen Jahren fest in der Hand der türkischen Community. Deutsche
oder sonstige Ausländer wohnten dort nahezu keine mehr.
»Oder hättet ihr am Ende genauso viel Schiss in der Hose wie die uniformierten
Kollegen, die dort nur mit mindestens zwei Streifenwagen anrücken, auch wenn es
nur um einen banalen Familienstreit geht?«
»Ach Uwe«, entgegnete Hain sichtlich angefressen, »das sind doch Scheißhausparolen.
Natürlich machen Paul oder ich nicht gerade Freudensprünge, wenn wir zu einem Einsatz
dorthin gerufen werden, aber richtig Schiss hat dabei doch keiner von uns.«
»Na ja«, widersprach Lenz dezent. »So ganz unrecht hat Uwe damit nicht.
Und wenn ich an die Szene von vorhin denke, da ging uns ganz schön die Klammer,
mein Lieber. Und das war immerhin mitten in der Stadt.«
»Na also, da siehst du es«, ergriff Wagner zu Hain gewandt wieder das
Wort. »Und ich will euch noch was sagen: Wann immer zum Beispiel dieser Spinner
aus Berlin, dieser Sarrazin, etwas über den Integrationsunwillen oder die mangelnde
Intelligenz der Migranten postuliert, geht ein Raunen durch den deutschen Blätterwald,
und die Intelligenzia distanziert sich pflichtschuldig von seinem Geschwätz; aber
insgeheim, so ganz tief innen drin, applaudieren sie doch und freuen sich darüber,
dass einer den Mumm hat, diese Thesen, die von den meisten ohnehin in gleicher Weise
gedacht werden, auszusprechen. Ganz im Geheimen und natürlich unausgesprochen sind
nämlich viele von uns kleine Ausländerfeinde, und wenn es einmal wieder en vogue
sein sollte, dass man auch laut dazu stehen darf, dann möchte ich lieber nicht mehr
in diesem Land leben.«
»Du meinst, dass Justus Gebauer einer sein könnte, dem die Leute zuhören
und vielleicht sogar zujubeln dafür, dass er ihre kleinen, fiesen, ausländerfeindlichen
Gedanken in Worte fasst?«, wollte Hain wissen.
Wagner nickte. »Worauf du einen lassen kannst, mein Freund. Justus
Gebauer hat Charisma, er kann reden und damit die Leute für sich einnehmen, aber
er hat etwas, was vielen Politikern abgeht, er kann nämlich den Menschen das Gefühl
vermitteln, er würde ihnen zuhören. Natürlich macht er ihnen damit etwas vor, klar,
aber sein Zweck heiligt die Mittel. Und deshalb glaube ich, dass die Menschen in
Kassel und darüber hinaus ihn wählen werden.«
»Aber er hat doch diese Scheiße mit dem Rollifahrer am Hacken, dem
er eine geschmiert hat. Meinst du nicht, dass ihm die Leute das längerfristig übel
nehmen werden?«
»Ganz im Gegenteil«, antwortete Wagner. »Ich bin mir sicher, dass ihm
das eher nutzen als schaden wird.«
»Und warum bist du davon so überzeugt«, bohrte Lenz ein wenig irritiert
nach, doch der Pressemann kam nicht mehr zu einer Antwort, weil das Telefon auf
seinem Tisch zu klingeln begann.
»Wagner«, meldete er sich kurz angebunden und hob die Augenbrauen.
»Ja, klar, die sind hier«, teilte er dem Anrufer mit. »Ich schick sie
dir gleich rauf.« Wieder eine kurze Pause. »Ja, natürlich, sofort … Ja, geht klar.
Mach’s gut.« Damit legte er den Hörer zurück auf das Telefon.
»Das war RW. Er will euch sehen, und zwar nicht etwa gleich, sondern
sofort. Und ich denke, ihr solltet seinem Wunsch folgen, er klang nämlich echt aufgeregt.«
Lenz und Hain
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