RECKLESS HEARTS
für einen kurzen Augenblick an Alex vorbei, sein Geist machte eine Zeitreise, sein Herz einen Flic-Flac ... »Sylvie ...«, flüsterte er fassungslos ... Die Erinnerungen kamen mühelos wie ein Vogelschwarm. Dann sah er wieder direkt in Alex‘ Gesicht ... Es war, als würde er in den Spiegel schauen ... Tränen traten in seine Augen ... und wie es so seine Art war, zog er den Jungen spontan an sich und drückte ihn, überwältigt von Gefühlen, die ganz neu für ihn waren, hielt ihn fest, kraftvoll, sah ihn immer wieder sprachlos an, lächelte kopfschüttelnd ...
Was für ein irres Leben ...
Alex hob die Arme ... erst zögerlich, dann entschieden, umarmte den Mann, den er sein ganzes Leben lang vermisst hatte, legte den Kopf auf seine Schulter ... konnte nicht weinen ... nicht lachen ... nur fühlen, dass alles gut wurde ... finally ...
Sie saßen noch bis weit nach Mitternacht in der rustikalen Wohnküche an einer riesigen Tafel zusammen.
»Kann euch leider keinen Whiskey anbieten«, sagte Shane. »Trinke keinen Tropfen, seit Ewigkeiten nicht mehr, nur hin und wieder mal ein Bier.«
»Oh, Bier ist völlig in Ordnung«, versicherte Alex. Dank Shanes ungezwungener Herzlichkeit hatte sich die große Anspannung in ihm endlich gelegt. »Wir sind aus Deutschland«, fügte er nun schmunzelnd hinzu, um das Klischee zu bedienen und alle lachten.
»Ich mach mich dann mal auf nach Hause«, sagte Matt irgendwann und stand auf. Shane begleitete seinen besten Freund noch nach draußen.
Als sie allein in der Küche saßen, sagte Selin zu Alex: »Ich freu mich so für dich. Du hast deinen Vater gefunden!«
Er nickte bewegt und platzierte einen lauten Kuss auf ihren Lippen.
»Der Laden läuft seit ein paar Jahren wahnsinnig gut«, erzählte Shane begeistert, nachdem er zurück war. »Ich überlege, den Anbau zu erweitern. Morgen zeig ich euch alles. Ach übrigens, ihr könnt das oberste Zimmer haben. Das halte ich immer frei, war früher mal mein Zimmer, hat auch `ne eigene Dusche und den schönsten Ausblick, werdet ihr nachher sehen. Habt ihr Hunger, soll ich euch Sandwiches machen?« Er wollte schon aufspringen. Selin schüttelte freundlich lächelnd den Kopf, und Alex hielt seinen aufgedrehten Vater am Arm zurück. »Danke«, sagte er gerührt. »Uns geht‘s gut, wirklich.«
Shane tätschelte kurz Alex‘ Hand. »Okay, ich will einfach nur ... fühlt euch wie zuhause, ja! Ich hab zwei Helfer, Dylan und Zoe, die schmeißen das alles hier, wenn ich unterwegs bin. Sie kommen früh morgens und gehen spät abends«, erzählte Shane weiter. »Die bereiten das beste Frühstück von ganz Irland vor ...«
Ab und zu war er sich nicht ganz sicher, ob die beiden alles verstanden, was er in diesen Stunden ihrer ersten Begegnung so von sich gab, aber darauf kam es nicht an. Entscheidend war, dass sich Alex und seine Freundin angenommen fühlten.
Shane hatte mehr Fragen als es Sterne am Nachthimmel gab. Nach und nach würde er sie hoffentlich stellen können, denn er wollte alles über Alex wissen.
Und Alex ging es nicht anders.
Sie würden Zeit brauchen, um sich richtig kennenzulernen, und diese Zeit würden sie sich auch nehmen.
»Ihr seid müde, oder? Besser wir gehen jetzt alle schlafen«, sagte Shane und atmete tief durch. Plötzlich machte er ein furchtbar besorgtes Gesicht. »Ihr habt doch hoffentlich Zeit mitgebracht, Alex? Sag mir nicht, ihr wollt bald wieder weg?«
Alex konnte ihn sofort beruhigen. »Hatten wir nicht vor, stimmt‘s?« Mit einem liebevollen Lächeln in den Augen wandte er sich an Selin.
»Also, wir haben eigentlich ... viel Zeit«, erwiderte Selin, und Shane atmete übertrieben laut aus. »Gott sei Dank! Dann ist ja alles in bester Ordnung. Wir sehen uns morgen zum Frühstück, folks, und dann sagt ihr mir, welchen Teil von Irland ihr unbedingt sehen wollt und ich bring euch da hin. Ist das ein Vorschlag?«
Alex nickte lachend. »Klingt ultracool!«
»Sag ich doch. Und jetzt zeig ich euch euer Zimmer.«
Shane brachte die beiden über eine kleine Wendeltreppe zu seinem ehemaligen Zimmer unter dem Dachboden. Er hatte nicht übertrieben. Es war urgemütlich eingerichtet und duftete nach frischem Holz. Das Doppelbett war mit schneeweißer Bettwäsche bezogen. Zwei zusammengefaltete, karierte Wolldecken lagen am Fußende. Sie hatten ein ähnliches Muster wie die kleine Wolldecke von Sylvie, und Alex musste in diesem Moment an seine Mutter denken. Er konnte auf ihre Reaktion gespannt sein,
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