RECKLESS HEARTS
immer sie unternehmen, wohin auch immer sie fahren würden, das Glücksgefühl in seiner Brust ließ sich kaum steigern.
»Diese hohen Klippen ...«, überlegte Selin. »Da würde ich gern mal hin ...«
Shane hob lächelnd die Brauen. »Die ‚Cliffs of Moher‘?«
»Ähm, wenn die so heißen, dann ja. Diese ganz hohen, steilen Klippen ...«
»Du meinst die ‚Cliffs of Moher‘! Gute Entscheidung! Fahren wir dorthin. Aber vorher zeig ich euch das Haus und den Hof.«
Nach ihrem Rundgang machten sie sich bereit für ihren Ausflug.
»Okay, ich denke, wir nehmen den Landrover«, sagte Shane. »Kommt mit, ich zeig euch die Garage und meine Babys.«
Alex und Selin machten überraschte, neugierige Gesichter. »Was denn für Babys, Pop?«, fragte Alex, während er neben Shane herlief.
»Siehst du gleich«, antwortete Shane geheimnisvoll.
Mit einer Fernbedienung ließ er ein riesiges Garagentor hochgehen. Was zum Vorschein kam und Alex die Sprache verschlug, war nicht der Landrover, der ganz offensichtlich sehr neu war, sondern die beiden Motorräder, die blitzblank poliert nebeneinanderstanden wie zwei Diven.
»Wow!«, rief Alex aus. »Wow! Was für schöne Maschinen« Er war völlig von den Socken und hatte den letzten Satz deshalb auf Deutsch gesagt.
Selin strahlte ihn vergnügt an, weil sie sich gut vorstellen konnte, was für ein Film gerade in seinem Kopf ablief.
Shane grinste stolz. »Eine Norton Commando Baujahr `74, nach der ich jahrelang gesucht habe, wie nach einer bestimmten Perle im Ozean, und eine Honda CBR 600 RR, Baujahr 2004. Meine Babys, wie ich schon sagte. Allerdings hatte ich vor dieser schon mal eine Norton. Dummerweise hab ich sie zu Schrott gefahren ... ist `ne traurige Geschichte. Okay, steigt in den Wagen ...«
»Warte mal!«, lenkte Alex ein. »Warum nehmen wir nicht die Motorräder?«
Shane machte ein verdutztes Gesicht, dann tauchte ein Leuchten in seinen Augen auf. »Hast du denn einen Motorradschein?«
»Klar hab ich! Ich fahr `ne Kawasaki!«
Shane trat an ihn heran, war völlig perplex, klopfte ihm anerkennend auf die Schulter und sagte: »Aye! Dann nehmen wir die Bikes!«
Sie fuhren über Landstraßen quer durch zur Westküste, vorbei an leuchtend grünen Wiesen, durch einsame Stille, bis an die legendären Steilküsten, den ‚Cliffs of Moher‘, die Selin von Bildern her kannte.
Shane, Alex und Selin trotzten dem eiskalten Fahrtwind, waren innerlich so aufgeheizt, dass sie die Kälte einfach wegsteckten.
Überhaupt meinte das Wetter es gut mit ihnen. Weder Regen noch Nebel vermasselte ihnen die atemberaubende Aussicht auf die Meeresküste.
Nachdem sie die Motorräder geparkt hatten, marschierten sie die üblichen Wege, standen irgendwann vor der Gedenktafel, die Selin sehr berührte.
»IN MEMORY OF THOSE WHO HAVE LOST
THEIR LIVES AT THE CLIFFS OF MOHER.«
Einen Absatz darunter stand das Ganze in irischer Sprache.
Alex legte von hinten die Arme um Selin, hielt sie fest und warm an sich gedrückt und ließ sie nicht los.
Shane lächelte gerührt. Mit ernster Miene jedoch stellte er sich etwas abseits und schickte den Blick auf den Atlantik hinaus.
Er dachte daran, dass bald Weihnachten war.
Shane war nicht besonders gläubig, aber das Fest der Liebe war vielleicht ein guter Vorwand, um ...
Als Alex und Selin an ihn herantraten, sagte er, er habe einen großen Wunsch. Er wünsche sich, Weihnachten mit ihnen zusammen zu verbringen. So wie Familien es eben tun. Würden sie bleiben können?
Meine Mutter allein in Berlin lassen? Das tiefe Bedauern in Alex‘ Gesicht war die Antwort, die Shane erwartet hatte. Er lächelte verständnisvoll und fragte dann: »Könntest du bitte deine Mutter anrufen? Jetzt gleich?«
Alex sah ihn verwundert an. Da aber sein heutiger Anruf bei ihr ohnehin schon fällig gewesen war, nickte er und holte sein Handy heraus.
Nachdem Alex Sylvie glaubhaft machen konnte, dass er seinen Vater tatsächlich gefunden hatte und sie nun an den ‚Cliffs of Moher‘ stünden - und Sylvies Herz bei all diesen überwältigenden Neuigkeiten wie verrückt flatterte - streckte Shane seinem Sohn fordernd die offene Hand entgegen.
Alex war so überrascht, dass er vergaß, Sylvie vorzuwarnen. Shane nahm ihm das Handy sanft ab, holte tief Luft und begann zu sprechen. »Hey!«, sagte er. Ließ es klingen wie das erste Mal, als er »Hey« zu ihr gesagt hatte. »Sylvie! ... Ich weiß ... ich rufe ziemlich spät an, und es tut mir
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