RECKLESS HEARTS
anbettelte.
Dezember 2005 Berlin
Der Treffpunkt war eine elitäre Jazzbar, die von seinen vielen Stammkunden lebte. Atilla schnippte den jungen Barkeeper zu sich her und bestellte zwei doppelte Kilbeggan. »Der Laden hat immer noch Stil«, bemerkte er, während er sein Antlitz in der Spiegelwand hinter dem Tresen kritisch beäugte. Seine Hände fuhren über die bereits perfekt sitzende Frisur, richteten mit geübten Handgriffen die Manschettenknöpfe seines schwarzen Hemdes, das er unter einem graphitfarbenen Sakko trug. Im Hintergrund lief eine Urban-Jazz-Mix-CD in angenehm dezenter Lautstärke.
Alex saß neben ihm auf einem der hohen Barhocker und spürte eine beginnende Ungeduld in sich.
Der Barkeeper stellte die dicken Whiskeygläser vor ihnen ab, goss sie randvoll, ohne einen Tropfen daneben gehen zu lassen und verschwand ans andere Ende des Tresens. Atilla hob schmunzelnd sein Glas. Vorsichtig stieß er mit Alex an und nahm einen kräftigen Schluck. Mit einem lauten, genüsslichen »AAAh« atmete er schließlich das Brennen in seiner Kehle aus.
»Ich hab ein paar brisante Informationen, Alex, die ich dir nicht vorenthalten wollte«, begann er endlich. »Aber ... nun ja, ich möchte dir vorher ein paar Fragen stellen, wenn du erlaubst?«
Alex nickte skeptisch, nicht ohne eine gewisse Vorahnung, die ihn sofort beschlich. Diese Fragen konnten nur mit der Unvollständigkeit der Geschichte, die er Atilla wegen Selin aufgetischt hatte, zutun haben.
»Du sagtest, du hast die Kleine zum Flughafen gefahren, auf direktem Weg, so hab ich dich jedenfalls verstanden?«
Atilla lächelte, ohne die Augenpartie miteinzubeziehen. Er erwartete eine ehrliche Antwort.
»Wir haben einen Umweg genommen«, gab Alex offen zu, räusperte sich und nahm schnell einen Schluck von seinem Drink. Mit der Zungenspitze leckte er angespannt über die Lippen. Unruhe kroch wie eine Schlingpflanze an ihm hoch.
»Darf ich raten? Über die Weichselstraße! Man hat dich und den Wagen gesehen, Alex.« Er hob die Augenbrauen. »Die Sache ist die: Irgendwer hat letzte Nacht unsere Schlitterfahrt und ... dummerweise den unglücklichen Zusammenstoß mit der Frau beobachtet ... allerdings nicht unseren Tresorklau. Schon irre, nicht? Den entscheidenden Part der Show haben sie verpasst.« Atilla schmunzelte kopfschüttelnd.
»Sie wollte ... also, dieses Mädchen, Selin ... sie wollte da unbedingt nochmal hin und sich verabschieden ... keine Ahnung von wem oder was, aber ... Woher hast du diese Infos?«
Atilla sah ihn eine Weile nachdenklich an. In seinem Blick waren seltsamerweise weder Ärger noch Vorwurf, vielmehr war es eine Art gemäßigte Besorgnis und vielleicht noch etwas Merkwürdiges, etwas, das Alex so gar nicht deuten konnte.
»Spielt doch keine Rolle. Die Vögel haben es gezwitschert, hm, worüber ich zugegeben froh bin. Natürlich frag ich mich, warum du mir nicht alle Details erzählt hast? Aber egal, so sei es denn. Vielleicht hat dein Vertrauen nicht ausgereicht, was ich betrüblich fände, aber ich werde dir keinen Strick daraus drehen, mein Junge, also mach dir da mal keine Gedanken.«
Zur Bestärkung seiner Worte klopfte er Alex einmal gegen den Oberarm, machte eine kurze bedeutungsvolle Pause und fuhr dann fort: »Die wissen im Grunde nicht viel, alles nur Verdachtsmomente und Mutmaßungen, aber sie bringen sie natürlich mit den ‚Crime Artists‘ in Verbindung. Schließlich ist ihnen in derselben Nacht ihr Tresor abhandengekommen und ein höhnisches Grußkärtchen war alles, was sie vorfanden. Am nächsten Morgen taucht ihr - die Kleine und du - mit dem Minivan vor dem Haus auf. Auch wenn sie sich nicht sicher sind, die haben jetzt zumindest ein Gesicht, das sie der Gang zuordnen können, und es ist nicht meins, Alex!«
Alex starrte mit zusammengezogenen Augenbrauen auf das goldbraun leuchtende Whiskeyglas vor sich. »Atilla, ich ... ich hab unüberlegt gehandelt. Ich hab nicht nachgedacht. Es war absolut dumm, was ich getan habe«, sinnierte er. »Wie geht‘s denn jetzt weiter?«
Atilla machte eine beschwichtigende Geste mit der Hand. »Ist schon gut. Ich schätze das Ganze nicht wirklich als dramatisch ein, wie du hoffentlich schon gemerkt hast. Du kannst mir getrost glauben schenken, dass ich ansonsten ... sagen wir mal ... ein wenig energischer aufgetreten wäre. Aber, natürlich hab ich zusammen mit den Jungs ein paar Entscheidungen getroffen. Wir geben die Wohnung auf und setzen uns erst mal ab. Ich wollte
Weitere Kostenlose Bücher