Reckless - Lebendige Schatten
Schuppen in den Mund, und seine Lungen begannen, im Wasser zu atmen, als hätten sie nie etwas anderes getan. Die Körper, die Fuchs und ihn umgaben, waren transparent wie milchiges Glas. Fisch oder Mensch – sie waren beides. In Lothringen nannte man sie Mal de Mer, aber sie hatten an jeder Küste einen anderen Namen. Es hieß, dass sie Schiffe zum Kentern brachten, um die Seelen der Toten in ihre Städte auf dem Meeresgrund zu verschleppen. Die Kaiserin hatte ein Exemplar in ihren Wunderkammern, doch der Tod verwandelte ihre gläserne Schönheit in stumpfes Wachs.
Sie umschwärmten Fuchs, als wäre sie eine von ihnen, flochten ihr Blüten ins Haar und strichen ihr übers Gesicht, aber sie wich nicht von Jacobs Seite und schob die Nixen fort, wenn sie ihn tiefer ziehen wollten. Es war wie ein Tanz zwischen ihr und ihnen, und irgendwann spürte Jacob, wie die Wellen ihn auf festen Grund schwemmten. Er fühlte feuchten Sand und Muscheln, die ihm zwischen den Fingern zerbrachen. Seine Augen brannten vom Salzwasser, aber schließlich schaffte er es, sie zu öffnen, und sah Wolken und einen grauen Himmel über sich. Fuchs kauerte neben ihm. Sie war selbst zu schwach, um auf die Füße zu kommen, aber sie zogen sich gegenseitig weiter, fort vom Wasser, dessen Rauschen immer noch hungrig klang, bis sie schließlich erschöpft Seite an Seite in den Sand fielen.
Jacob spuckte sich die Schuppe in die Hand, die die Mal de Mer ihm zwischen die Lippen geschoben hatten und sog gierig die feuchte Luft in die schmerzenden Lungen. Sie war salzig und kalt und köstlicher als alles, was er je geschmeckt hatte.
Atmen. Einfach nur atmen.
Fuchs griff nach den Blüten, die die Mal de Mer ihr ins Haar gesteckt hatten. Unter Wasser hatten sie in allen Farben des Regenbogens geleuchtet, aber nun waren sie welk und farblos. Fuchs warf sie in die Wellen, als wollte sie ihnen ihr Leben zurückgeben. Dann kniete sie sich wieder neben Jacob und grub die Hände tief in den grauen Sand.
»Das war knapp.« Ihre Stimme klang so ungläubig, als könnte sie nicht glauben, dass sie tatsächlich noch am Leben waren.
Leben … Jacob griff unter sein nasses Hemd, aber alles, was seine Finger ertasteten, war die Motte.
Der Täuschbeutel mit dem Kopf war fort.
Fuchs schob mit einem Lächeln die Hand in den Ärmel. Sie zog den Beutel heraus und warf ihn ihm auf die Brust.
Die Handschuhe waren ebenso wie der Rucksack im Meer versunken, trotzdem spürte Jacob nur ein leichtes Prickeln, als er die Hand in den Beutel schob und das vergoldete Haar berührte. Täuschbeutel konnten die Wirkung von schwarzem Zauber schwächen, doch er hatte noch nie einen so starken Effekt erlebt. Was auch immer … er hatte den Kopf. Nun konnte er nur hoffen, dass der Goyl bislang weniger erfolgreich gewesen war. Jacob zog den Beutel zu und blickte hinauf zum Himmel, wo ein paar hungrige Möwen zwischen den Wolken kreisten. In seiner Erinnerung sah er immer noch die roten Flugzeuge auf die brennenden Schiffe hinabstoßen.
»Wieso haben die Mal de Mer uns geholfen?«
Fuchs wischte sich den Sand von den bloßen Armen. Sie hatte das nasse Kleid im Meer abgestreift und trug nur noch das aus Fell. Sie zog es immer unter die Kleider, wenn es gefährlich werden konnte, doch diesmal hatte nicht die Füchsin, sondern ihre Menschengestalt sie beide gerettet.
»Eigentlich helfen sie nur Frauen«, sagte sie. »Als ich ein Kind war, haben sie die Schwester meiner Mutter gerettet. Die Männer nehmen sie meist mit sich, und ich war nicht sicher, ob ich dich vor ihnen beschützen kann, aber ohne ihre Hilfe wärst du bestimmt ertrunken.« Fuchs lächelte. »Zum Glück haben sie eingesehen, dass ich dich ihnen nicht kampflos überlassen hätte.« Ja, zum Glück, und weil sie so furchtlos war, dass es selbst ihm manchmal Angst machte. Jacob setzte sich auf. Er konnte nur hoffen, dass es leichter werden würde, die Hand und das Herz zu finden. Nicht, dass das zu erwarten war. Er blickte sich um. Steile Sandklippen und ein steiniger Strand. Ein Leuchtturm in der Ferne.
»Weißt du, wo wir sind?«
Fuchs nickte. »Ich bin nicht weit von hier aufgewachsen. Ich habe die Mal de Mer gebeten, uns hierher zu bringen. Wir sind in Lothringen, nur ein paar Meilen entfernt von der flandrischen Grenze.« Sie kam auf die Füße. »Wir machen besser, dass wir fortkommen. Die Fischer hier sind alles andere als freundlich zu Fremden. Hast du das Goldtuch noch? Wir werden Geld für Pferde und neue
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