- Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond
schlugen das riesige Tor hinter ihnen zu.
»Heute Nacht hätten wir eigentlich sicher sein müssen.«
»Der Blutmond ist zurückgekehrt!«
Während der Wagen in Richtung Dorfmitte preschte, redeten alle fassungslos durcheinander.
Ein paar ältere Männer gerieten heftig darüber in Streit, wie oft sie einen solchen Mond in ihrem Leben schon gesehen hatten – zwei oder drei Mal.
Der Wagen fuhr die Häuserreihen ab, und jedes Mal, wenn er haltmachte, ertönte der Ruf: »Wolfsnacht! Alles in die Häuser!«
Valerie sprang ab und flitzte nach Hause, in der Hoffnung, dass Suzette schon schlief und von der Aufregung gar nichts mitbekam. Doch ihre Mutter wartete oben und zog ihr blaues Schultertuch enger, um sich vor der Kühle zu schützen. Ihre Kerze erhellte die Veranda und warf ein flackerndes Licht auf Valerie.
Beim Anblick ihrer Tochter stieß Suzette einen erleichterten Seufzer aus. »Gott sei Dank!« Sie ließ die Leiter herunter.
»Mutter?« Valerie fragte sich, ob sie schon wusste, dass Lucie und sie aus dem Frauenlager ausgebüxt waren.
»Dein Vater ist draußen, um nach euch Mädchen zu suchen!«
»Entschuldige.« Allem Anschein nach wusste sie es nicht.
»Wo ist Lucie?«
»Sie ist mit Prudence gegangen.« Valerie war mit sich zufrieden. Sie sprach die Wahrheit, ohne die beiden mit ihrem nächtlichen Vergehen in Verbindung zu bringen.
Suzette spähte ein letztes Mal auf die Straße hinunter, aber ruhiger jetzt. »Dein Vater wird bestimmt dort vorbeischauen. Lass uns zu Bett gehen.«
Valerie vermisste Lucies Körper neben sich, als sie oben in ihrem Dachboden lag. Es war ein seltsames Gefühl, ihre Schwester nicht bei sich zu haben. Sie hörte das Trommeln von Regen. Er ging rasch in Hagel über, der in pfeilartigen Streifen auf die Erde fiel, da das menschliche Auge nicht schnell genug war, um die einzelnen Körner zu erkennen. Der Winter nahte und der Gewittersturm war kalt und tobte wie ein zorniger Gott. Valerie dachte an Peter. Dann zuckten Blitze und schließlich wurde alles wieder von Dunkelheit verschluckt. Der Mond, umhüllt von Gewitterwolken, sah schmutzig aus, und sein rotes Leuchten besudelte den Himmel.
In dieser Nacht träumte Valerie, sie könnte fliegen.
Kapitel 7
I ch erinnere mich, als ich noch ein Mädchen war«, begann Suzette, die auf einem niedrigen Hocker saß. »Ich war elf Jahre alt, als ich meinen ersten Blutmond sah. Ich war jung und verrückt nach einem Jungen. Es war fast romantisch.« Wie ein junges Mädchen wickelte sie sich eine Strähne ihrer gewellten, schulterlangen Haare um den Finger. »Wenn es nicht so grausig gewesen wäre, natürlich.«
Valerie hörte nicht zu und hing ihren eigenen Gedanken nach. Am Morgen, die anstehenden Hausarbeiten vor Augen, erschienen die Ängste der letzter Nacht übertrieben, die Panik grundlos. Während sie einen Berg zähen, festen Teig knetete, sprang sie von einem Gedanken zum nächsten. Sie machte sich um Peter keine Sorgen, er schien Dinge zu wissen, die keiner sonst wusste.
Sie spürte, dass er sie in seine Geheimnisse einweihen und ihr von der Welt erzählen konnte. Sie spürte, dass er Dingen eine Form geben konnte, so wie er früher aus unförmigen Holzklötzen Heilige geschnitzt hatte.Aber, so rief sie sich in Erinnerung, er war nur wegen der Ernte hier … und wegen seiner Vergangenheit würden ihre Eltern ihr niemals erlauben, mit ihm zusammenzusein.
Valerie drückte mit ihrem ganzen Gewicht in den Teig. Es ärgerte sie maßlos, dass diese Arbeit so anstrengend war und dass sie diesen schönen Tag im Haus verbringen sollte. Gestern war der letzte sonnige Herbsttag gewesen, heute war schon der Winter angebrochen. Als sie am Morgen aufwachte, waren ihre Fußsohlen von der Kälte ganz glatt und trocken gewesen. Das Gefühl mochte sie. Jetzt vernahm sie draußen Stimmen, vermochte aber nicht zu sagen, wem sie gehörten, bis sie das Lachen hörte. Roses freches Lachen. Sie lauschte angestrengt, ob Lucie bei ihr war. Lucie konnte viel besser backen als sie, und normalerweise hätte Lucie ihr geholfen, sobald sie mit ihrer eigenen Arbeit fertig war. Diesmal war sie jedoch glimpflich davongekommen, denn sie hatte bei Prudence übernachtet.
»Auf jeden Fall«, schloss Suzette, die gemerkt hatte, dass Valerie gar nicht zuhörte, »würde ich sagen, dass wir jetzt genug Kekse gebacken haben.« Sie schlug mit den Händen entschlossen auf den Tisch. » Wir werden … deinen Teig retten«, setzte sie mit einem Blick auf den
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