- Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond
überhaupt war es vielleicht besser, wenn sie es nicht wusste.
Und dann hatte Peter gefunden, was er suchte – einen Weg, der durch den Wald führte. Sie hielt sich an ihm fest, als er das Pferd zu einem Galopp antrieb, und sie preschten wild und frei durch den Wald. Seinem Körper so nahe, musste sie an das prickelnde Gefühl denken, das sie früher immer empfunden hatte, wenn sie zusammen waren, wenn sie so schnell durch den Wald rannten, dass ihnen die Luft in den Ohren pfiff. Dieses Gefühl war noch immer da – doch jetzt bedeutete es so viel mehr.
Das Pferd wurde immer schneller und das Trommeln der Hufe übertönte das Pochen ihres Herzens. Der Wind fegte durch ihr Haar, und plötzlich fühlte sie sich so eins mit Peter
und dem Pferd und so stark, dass sie das Gefühl hatte, sie könnten ewig so weiterreiten, fliegen.
Doch irgendwann lenkte Peter das Pferd in einem Bogen zurück und ließ es in Schritt fallen. Noch hatten sie das Schweigen nicht gebrochen und lauschten nur dem schweren Atem des Tieres. Da zerriss eine Männerstimme die Stille. »He, das ist mein Pferd! Komm zurück!«
Valerie hatte gar nicht darüber nachgedacht, woher Peter das Pferd hatte. Sie lächelte ungläubig in sich hinein. Peter war unberechenbar . »Ich werde hier warten, solange du das Pferd zurückbringst.«
»Geh nicht weg«, flüsterte er und ließ sie absteigen.
Während sie zusah, wie seine dunkle Gestalt davonsprengte, spürte sie ein Gefühl der Enge in der Brust, als würde sie überquellen, als versuche dort etwas, Wurzeln auszutreiben und zu wachsen.
Vielleicht fühlte es sich so an, wenn man verliebt war.
Sie versuchte, sich Peters Körper in Erinnerung zu rufen, ihn zu spüren, obwohl er nicht da war. Sein Geruch, eine Mischung aus Metall und Leder, haftete an ihr. Während sie auf seine Rückkehr wartete, fragte sie sich, was wohl als Nächstes geschehen würde.
Sie hörte ein lautes Knacken von Zweigen und schaute sich um. Da sie nichts entdeckte, hob sie den Blick zu dem Gewirr von Ästen über ihr. Durch die dunklen Lücken konnte sie Wolken am Nachthimmel sehen, die immer dünner wurden und sich schließlich ganz auflösten. Zwei Wolken blieben jedoch. Sie trieben auseinander und legten sich um den Mond.
Es dauerte einen Augenblick, bis Valerie begriff, dass der Mond voll war. Und rot.
Sie war so verwirrt, dass sie keinen klaren Gedanken fassen konnte. Vollmond war doch gestern gewesen, was also …? Das Blut gefror ihr in den Adern, als sie begriff. Davon sprachen die Dorfältesten manchmal, wenn auch sehr ungern. Sie wurden immer ganz still, wenn man ihnen eine Frage dazu stellte, und grummelten, da keiner sie mit Gewissheit beantworteten konnte. Sie wussten nur, dass es kein gutes Zeichen war, wie eine schwarze Katze oder ein zerbrochener Spiegel.
Blutmond.
In der Ferne ertönte ein schauerliches Knurren.
Valerie löste sich aus ihrer Erstarrung, rannte aus dem Wald und zum Fluss hinunter. Am Ufer herrschte ein heilloses Durcheinander. Menschen rannten kreuz und quer und versuchten, sich in Sicherheit zu bringen.
Alle drängten in Boote, ruderten in Richtung Dorf. Valerie sah, wie Roxanne und Rose zu einem dicht am Ufer liegenden Boot rannten und in panischer Angst durchs Wasser patschten. Ein paar Erntearbeiter waren bereits hineingeklettert und es war nicht mehr viel Platz. Valerie lief zu ihnen hinunter und versank bis zur Hüfte im Wasser.
»Wartet auf mich!«
»Steig ein!« Roxanne packte Valerie an der Hand, um sie ins Boot zu ziehen.
»Warte! Wo ist Lucie?«
»Sie und Prudence sind mit dem ersten gefahren«, antwortete Roxanne und deutete aufgeregt auf ein Boot, das bereits halb über den Fluss war.
»Steig jetzt ein oder lass es!«, forderte einer der Arbeiter, während sie das Boot abstießen. Die Gefahr ließ alle Regeln der Höflichkeit vergessen.
Einmal im Boot, blickte Valerie zum Ufer zurück, das rasch in der Dunkelheit verschwand, da sich die Arbeiter mächtig in die Riemen legten. Ein weiteres Boot wartete dort, mit mehr als genug Platz für die übrigen Männer. Peter wird darin unterkommen, beruhigte sich Valerie mit einem beklommenen Gefühl in der Brust.
» Vollmond war doch letzte Nacht«, protestierte eine Stimme von einem der Wagen, auf die alle drängten. Der Vogt hatte sie anspannen und warten lassen, während sich die Boote leerten. Die hölzernen Fahrzeuge ächzten, als sie durch die Öffnung in der abbröckelnden Dorfmauer jagten. Männer sprangen heraus und
Weitere Kostenlose Bücher