- Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond
das Boot glitt über den Fluss wie ein einsamer Vogel.
Kurz dachten sie an die Gefahr, ertappt zu werden, aber es fiel ihnen nicht schwer, den Gedanken aus ihren Köpfen zu verbannen. Sie waren jung und frei – und es schien das Risiko wert zu sein.
Valerie sah wieder Peters Licht aufleuchten und steuerte scharf nach links. Als das Boot jäh die Richtung änderte, fiel Lucie das Ruder aus der Hand. Sie lehnte sich hinaus, um es aus dem Wasser zu fischen. Dabei verlagerte sie zu schnell ihr Gewicht und eine Welle schwappte ins Boot.
Die Mädchen kreischten, als das Wasser hereinschoss, und schon im nächsten Moment war ihnen klar, dass sie sich wahrscheinlich verraten hatten.
»Springt ins Wasser und dreht das Boot um! Versteckt euch darunter!« Valerie versuchte, gleichzeitig zu schreien und zu flüstern.
Die Mädchen holten mehrmals tief Luft, ließen sich in den Fluss gleiten und drehten dabei das Boot herum. Unter Wasser fassten sie sich bei den Händen, schlüpften unter das Boot und tauchten, ihre Röcke wie Schleppen hinter sich her ziehend, in der Luftglocke darunter wieder auf.
Keine war darüber glücklich. Ihre Haare waren triefnass, ihre Kleider durchtränkt, und dabei hatten sie sich für die Jungen doch besonders schön gemacht.
Nun waren sie hier, in der schmutzig dunklen Unterwelt eines morschen Ruderboots, strampelten wild mit den Beinen und waren doch vollkommen unsichtbar für jeden Beobachter, sogar für sich selbst. Mit einem Mal kam ihnen alles wahnsinnig komisch vor und alle zusammen mussten mit einem Lachkrampf kämpfen. Dann konnten sie sich nicht mehr beherrschen, ließen das Lachen herausplatzen und schickten ein paar schrille Schreie in die Nacht, versuchten
aber gleichzeitig, Ruhe zu halten. Es klang, als wären sie im Inneren einer Muschel.
Valerie begann, an ihrer Rolle als Anführerin Gefallen zu finden. » Wir müssen jetzt das Beste daraus machen«, sagte sie und sprach damit aus, was ohnehin allen klar war. »Und zwar leise.«
Sie lauschten angestrengt, ob sich am Ufer etwas regte.
Roxanne nickte im Dunkeln ernst vor sich hin, als hätte Valerie etwas Scharfsinniges gesagt. Prudence verdrehte die Augen, wütend darüber, dass Valerie sich so aufspielte.
Als eine Zeit lang bis auf das Plätschern des Wassers nichts zu hören war, kam Valerie zu dem Schluss, dass sie unentdeckt geblieben waren.
»In Ordnung, dann mal los. Eins, zwei, drei – anheben!«, sagte sie mit einer Stimme, die herrischer klang als nötig. Mit einem lauten Platsch landete das Ruderboot auf der richtigen Seite. Die Mädchen wateten, das Boot hinter sich her schleppend, durch das seichte Wasser an Land. Sie kamen sich albern vor. Das Gewicht ihrer durchnässten Röcke behinderte sie bei jedem Schritt. Es war beschämend.
»Hier oben«, ertönte ein lautes Flüstern. Die Mädchen spähten in die Dunkelheit, konnten aber nicht sehen, wer da gesprochen hatte. Sie sahen einander an, und während sie das Boot an einem Baum festbanden, versuchte jede insgeheim festzustellen, ob es vielleicht ihr Auserkorener war.
Valerie hielt nach Peter Ausschau, als sie die Böschung hinaufwatschelten. Die Lagerfeuer loderten in den Himmel, und nass und schmutzig, wie sie waren, steuerten sie auf das zu, das ihnen am nächsten war. Lucie rannte voraus, drehte dann aber ab und zischte: »Da ist Roses Vater.«
»Hallo? Ist da unten wer?«, rief eine Stimme aus dem Kreis der Männer, die am Feuer saßen.
» Verzeihung«, antwortete Lucie mit der Stimme einer alten Frau. Die fünf Mädchen versuchten, krumm und bucklig auszusehen, und verkniffen sich verzweifelt das Kichern.
Die Jungen mussten am nächsten Feuer sein.
Als sie sich dem Lichtschein näherten, sah Valerie durch die Funken, die vom Lagerplatz aufwirbelten, dass Peter nicht unter ihnen war. Die Erntehelfer, die da waren, freuten sich, die Mädchen zu sehen, schienen aber auch überrascht.
»Kommt ihr vom anderen Ufer?«
»Ja!«
»Wieso?«
Die Mädchen sahen einander an. Wussten sie das nicht?
»Äh …«
Lucie sprang in die Bresche. »Entschuldigung. Wir kommen immer auf diese Seite herüber, wenn wir zelten.« Es war nicht gelogen. Sie hatten noch nie gezeltet.
Die Jungen sahen einander an. »Das stört uns nicht.«
Die Mädchen zuckten mit den Schultern. Die Jungen waren nicht die hellsten, aber lustig. Sie lachten, als sie sahen, wie nass und schmutzig sie waren, aber sie lachten nicht so sehr, dass sie sie in Verlegenheit brachten. Sie
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