- Red Riding Hood - Unter dem Wolfsmond
Mit seinen eleganten schwarzen Handschuhen und seinem Samtumhang in königlichem Purpurrot hatte er etwas Würdevolles und Gebieterisches. Die Dorfbewohner lasen in seinem Gesicht, dass er eine Welt gesehen hatte, die ihnen immer fremd bleiben würden.
Pater Auguste erkannte, dass sie nun seine geschätzte Aufmerksamkeit hatten. Er trat vor und ergriff im Namen der Bewohner das Wort. »Es ist uns wirklich eine große Ehre, Euer Exzellenz«, sagte er und verbeugte sich vor dem älteren Mann, der dem bescheidenen Dorf die Gnade seines Besuches erwies.
Valerie hätte am liebsten den weichen, schimmernden Stoff seines Mantels gestreichelt, der ihm über die Schultern fiel.
Solomon nickte leicht. Seine Bewegungen waren bestimmt und vollendet. »Glücklicherweise reisten wir gerade durch diese Gegend und konnten deshalb schnell hier sein. Wie ich höre, hat das Dorf ein Mädchen verloren.« Er
schritt vor der Menge auf und ab. »Wo befindet sich die Familie des Opfers?«
Suzette rührte sich nicht, und ihren Vater konnte Valerie nirgends entdecken – wahrscheinlich war er noch in der Schenke. Die Anwesenden traten von einem Fuß auf den anderen. Mit einem Blick zu Peter, der schweigend am anderen Ende der Menge stand, hob Valerie resignierend die Hand.
Solomon kam zu ihr herüber, nahm ihre Hand herunter und hielt sie fest. Er roch nach geöltem Metall, nach Sicherheit.
»Hab keine Sorge«, sagte er in bescheidenem Ton und beugte den Kopf. »Ihr habt genug Schrecken erfahren, genug Leid erduldet. Wir werden die Bestie finden, die deine Schwester getötet hat. Es tut mir leid, dass du einen geliebten Menschen verloren hast.«
Sie wusste, dass alles Theater war, und dennoch fand sie einen gewissen Trost in dieser öffentlichen Beileidsbekundung, in der Bestätigung, dass sie, Valerie, diejenige war, die gelitten hatte.
Er machte nochmals eine leichte Verbeugung, und seine Züge verhärteten sich, als er sich wieder den Männern und Frauen zuwandte, die noch keinen Verlust zu beklagen hatten.
Valerie sah, dass der Vogt, der nicht länger an sich halten konnte, großspurig vortrat. Valerie empfand Abscheu vor ihm und den anderen Männern. In ihrer Hitzköpfigkeit und Eitelkeit waren sie wie Kinder.
»Sie und ihre Männer kommen zu spät«, sagte der Vogt und legte Vater Solomon eine große Hand auf die Schulter. »Aber Sie kommen gerade richtig, um mit uns zu feiern.«
Der Schenkenwirt brummte beifällig, als der Vogt auf den aufgespießten pelzigen Kopf deutete, dessen glasige Augen ein weißer Schleier überzog.
»Wie Sie sehen, ist der Wolf bereits erlegt.«
Vater Solomon blickte auf die Hand des Vogts, auf die schwarzen Ränder unter seinen Fingernägeln. Er trat beiseite und entzog sich ihrem festen Griff.
»Das ist kein Werwolf«, murmelte er geheimnisvoll und schüttelte den Kopf.
Valerie sah, wie Roxanne und Prudence einen Blick tauschten und dann fragend zu ihr herüberschauten. Sie antwortete mit einem Schulterzucken. Rose bekam davon nichts mit und verfolgte weiter wie gebannt das Geschehen vor ihr.
»Jetzt nicht mehr«, sagte der Vogt und erntete dafür Zustimmung aus der Menge. »Mag sein, dass er jetzt nicht mehr wie ein Werwolf aussieht, aber Sie haben ihn nicht gesehen, als er noch am Leben war.«
Die Männer aus Daggorhorn nickten.
»Sie hören nicht zu«, erwiderte Solomon ruhig und in einem Ton, der alle aufhorchen ließ. »Das ist nicht der Kopf eines Werwolfs.«
Es folgte eine kurze Pause, in der die Menge versuchte, sich auf seine Worte einen Reim zu machen. Sollte das ein Witz sein? Irgendein Scherz vornehmer Leute, den sie nicht verstanden?
»Bei allem Respekt, Vater, aber wie haben zwei Generationen lang mit dieser Bestie gelebt. Zu jedem Vollmond hat sie unser Opfer geholt.« Das breite Grinsen des Vogts blieb unter seinem dichten Bart verborgen. »Wir wissen, womit wir es zu tun haben.«
»Bei allem Respekt«, entgegnete Solomon unbeirrt, »aber Sie haben nicht die geringste Ahnung, womit Sie es zu tun haben.«
Valerie war fasziniert. Jemand wagte es, den Vogt in Frage zu stellen – das war neu.
»Ich kann verstehen, dass Sie vor der Wahrheit die Augen verschließen. Ich war früher genauso«, räumte Vater Solomon zögernd ein. »Ich will Ihnen eine Geschichte erzählen – von meiner ersten Begegnung mit einem Werwolf. Ich würde alles darum geben, wenn ich jene Nacht vergessen könnte, doch ich will sie mir in Erinnerung rufen.«
Valerie spürte, wie die Menge den Atem
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