Rede, dass ich dich sehe
modernen Parlaments auf deutschem Boden, aus der revolutionären Bewegung in den Rheinländern hervorgegangen. Der »jungen Freiheit« aber »drohen die Myrmidonen der Despoten«, sprich die Koalitionstruppen der deutschen Landesherren. Forster sieht keine Rettung als den Anschluß der Rheinlande an das »edle Volk der Franken«. Man möge beschließen, ruft er aus: »Die freien Deutschen und die freien Franken sind hinführo ein unzertrennliches Volk!« Diesen Beschluß trägt Forster mit zwei anderen Delegierten nach Paris. Tage später besetzen die Koalitionstruppen Mainz. Forster stirbt, vereinsamt, kaum ein Jahr später im Exil.
Er war, soweit ich sehe, der erste Deutsche, der, verzweifelnd an der Rückständigkeit seines Vaterlandes, so weit ging, um der Freiheit und um der sozialen Gerechtigkeit willen die nationale Identität hintanzustellen. Dieser Versuch mußte scheitern. Georg Forster reiht sich ein in die Reihe der an den deutschen Zuständen gescheiterten Schriftsteller, an die fast anderthalb Jahrhunderte später eine andere Mainzerin, Anna Seghers, Kommunistin, Jüdin, ebenfalls im Exil in Paris, erinnern wird.
Sie spricht 1935 vor dem Kongreß zur Verteidigung der Kultur als deutsche Emigrantin zu 250 Schriftstellern aus 38 Ländern über den unsäglich mißbrauchten Begriff »Vaterlandsliebe«. Sie entmythologisiert ihn, indem sie ihn auf seinen sozialen Inhalt prüft: »Fragt erst bei dem gewichtigen Wort ›Vaterlandsliebe‹, was an eurem Land geliebt wird. Trösten die heiligen Güter der Nation die Besitzlosen? Tröstet die ›Heilige Heimaterde‹ die Landlosen?« Und sie blickt auf dreihundert Jahre deutscher Literatur zurück und erinnert an das Scheitern so vieler bedeutender deutscher Schriftsteller an den unentwickelten Verhältnissen. »Keine Außenseiter und keine schwächlichen Klügler gehören in diese Reihe«, sagt sie, »sondern die Besten: Hölderlin, gestorben im Wahnsinn, Georg Büchner, gestorben durch Gehirnkrankheit im Exil, Karoline Günderrode, gestorben durch Selbstmord, Kleist durch Selbstmord, Lenz und Bürger im Wahnsinn. Das war hier in Frankreich die Zeit Stendhals und später Balzacs. Diese deutschen Dichter schrieben Hymnen auf ihr Land, an dessen gesellschaftlicher Mauer sie ihre Stirnen wund rieben. Sie liebten gleichwohl ihr Land.«
Knapp hundert Jahre vor dieser Rede der Anna Seghers war Georg Büchner gestorben, dreiundzwanzigjährig, in der Schweiz im Exil. Um der freien Rede und sozialer Aktivitäten willen war er in Hessen verfolgt worden. Geboren war er in einer Zeit, da die Napoleonische Herrschaft das deutsche Selbstempfinden hoch aufschäumen ließ: Fichte hatte immense Wirkung mit seinen Reden an die deutsche Nation , Ernst Moritz Arndt sang: »Was ist des Deutschen Vaterland? Ist's Preußenland, ist's Schwabenland?« und endet seine Aufzählung der einzelnen Länder: »O nein, nein, nein, sein Vaterland muß größer sein!« Nämlich: »Das ganze Deutschland soll es sein!« Das aber, das ganze Deutschland, liegt nach den Befreiungskriegen in der Zwangsjacke der Metternichschen Gesetze, Nationalgefühl und Freiheitssehnsucht haben wieder nicht zusammengefunden, ein paar versprengte Studenten schwingen noch aufmüp
fige Reden und werden als »Demagogen« verfolgt und eingesperrt.
Georg Büchner muß nach Belegen für große neuzeitliche Redekunst in französischen Archiven suchen, in den Protokollen vom französischen Nationalkonvent und vom Revolutionstribunal. Sie zitiert er in seinem Revolutionsstück Dantons Tod – Texte, die er keinem deutschen Redner unterschieben könnte, läßt er Robespierre, St. Just und schließlich Danton sprechen: »Ich werde mich in die Zitadelle der Vernunft zurückziehen, ich werde mit der Kanone der Wahrheit hervorbrechen und meine Feinde zermalmen.« Büchner ist der erste deutsche Dichter nicht (und nicht der letzte), der einen fremden Stoff bearbeiten muß, um entwickelte gesellschaftliche Kräfte in einem Drama gegeneinander ins Feld führen zu können.
Diese Sprache kennt das deutsche Biedermeier nicht. Doch langsam, langsam zieht der deutsche Michel sich die Nachtmütze vom Kopf, und nun werden auch wieder freiheitliche Reden gehalten. Freiheit! Einheit!, rufen die Märzrevolutionäre, in der Paulskirche in Frankfurt am Main diskutieren sie über eine Verfassung für einen deutschen Bund. Wie die Achtundvierziger Revolution endete, wissen Sie. Die Revolutionäre rollten ihre Fahnen ein. Ist Ihnen auch bewußt,
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