Reden ist Silber, Kuessen ist Gold
sich herumtragen. Ich hoffe, nicht auf der linken Seite, denn das zusätzliche Gewicht würde das Laufenlernen unnötig erschweren. Ich heiße Joss.«
Joss war um die fünfzig, muskelbepackt, mit kahl rasiertem Schädel und stechend blauen Augen. Ein beeindruckendes Dschungel-Tattoo rankte sich über beide Arme.
»Mitch.«
»Oh, ich weiß, wer Sie sind. Sie haben eine interessante Akte.«
»Was daran ist so interessant?«
Joss grinste. »Es geht das Gerücht um, dass Sie eine echte Nervensäge sind. Deshalb sind Sie jetzt auch bei mir. Ich kann gut mit Nervensägen. Man hätte Ihnen sonst ein hübsches Mädchen zugeteilt, aber Sie haben Ihre Termine ausfallen lassen und auch zu Hause nicht gearbeitet. Also sind Sie bei mir. Herzlich willkommen.«
Mitch hatte nicht die Absicht, sich verunsichern zu lassen. »Ich bin beschäftigt. Ich kann nicht zweimal die Woche kommen.«
Joss führte ihn in den Therapieraum, wo spezielle Trainingsgeräte die Wände säumten. In der Mitte des Raumes war eine offene Fläche, darum mehrere abgeteilte Bereiche, in denen die Patienten das Gehen zwischen zwei Handläufen üben konnten. Mitch erinnerte sich an seine ersten wackeligen Schritte mit der Prothese. Es war in genau diesem Raum gewesen. Seine Gefühle damals waren eine Mischung aus Erleichterung darüber, dass er wieder mobil sein würde, und Wut, dass er sein Bein überhaupt verloren hatte.
Im Moment arbeiteten ein halbes Dutzend Männer und eine Frau mit ihren Therapeuten an verschiedenen Geräten. Alle schwitzten vor Anstrengung, aber jeder sah verdammt entschlossen aus. Als ob sie erwarteten, dass die Therapie tatsächlich etwas verändern würde.
»Sie kommen hierher, wenn ich es Ihnen sage, oder Sie bekommen keine permanente Prothese«, sagte Joss leichthin. »Wenn Sie mir auf den Sack gehen, dann nehme ich Ihnen die, die Sie im Moment haben, wieder weg.«
»Ich war ein SEAL. Wie wollen Sie mir also die Prothese wegnehmen?«
»Mithilfe von Special Forces«, erwiderte Joss. »Und Sie sind hier der Krüppel, mein Junge, nicht ich. Gehen wir mal ins Untersuchungszimmer und schauen uns an, was Sie Ihrem Stumpf angetan haben.«
Mitch zögerte. Joss kniff die Augen zusammen.
»Was?«, verlangte er zu wissen. »Blutet es immer noch? Ich schwöre bei Gott, wenn Sie noch bluten, schlage ich Sie windelweich. Welcher Teil von >Gehen Sie es langsam an< war so schwer zu verstehen? Sie wollen wieder zur Normalität zurückkehren? Wollen in der Lage sein, Ihr Leben zu leben, ohne andauernd hier vorbeikommen zu müssen? Sie wollen länger als fünfzehn Minuten durchhalten, bevor der Schmerz wie ein Feuerstrahl durch Ihr Bein rast? Dann hören Sie mir verdammt noch mal besser zu.«
Mitch drehte sich um und ging in Richtung Tür. Das hier hatte er nicht nötig. Er brauchte nichts davon. Ihm ging es gut, und wenn dieser Idiot ihm keine permanente Prothese anpassen würde, würde er jemand anderen finden, der es täte.
»Glauben Sie, dass Pete sein Leben für Sie riskiert hat, damit Sie sich jetzt so aufführen?«, fragte Joss.
Er hatte leise gesprochen. Mitch bezweifelte, dass einer der anderen Patienten die Worte gehört hatte. Trotzdem, sie durchschnitten ihn wie Glas, rissen an seinen Eingeweiden und schnitten sein Herz in Stücke.
Pete war ein Freund. Ein guter Freund. Sie hatten zusammen das BUD/S-Training für Unterwasserangriffe durchgestanden und waren für das gleiche SEAL-Team verpflichtet worden. Mitch wusste von Petes Hingabe an seine junge Frau und erinnerte sich an seinen grenzenlosen Stolz, als er hörte, dass er Vater würde. Pete wusste von Skye und wie viele Nächte Mitch im ersten Jahr wach gelegen hatte, unfähig zu glauben, dass sie ihn wirklich verlassen hatte.
Pete, der sich unter feindlichen Beschuss begeben hatte, um einen verwundeten, vielleicht sogar sterbenden Mitch in Sicherheit zu bringen. Pete, der sich für ihn eine Kugel eingefangen hatte. Pete, der bereits wieder zurück in Afghanistan war, sich alldem wieder aussetzte, weil das zu seinem Job gehörte.
Joss hatte die einzig möglichen Worte gesprochen, um Mitch zum Bleiben zu überreden.
Er richtete sich auf und straffte die Schultern. »Ich habe fast jeden Tag Blut in meinem Strumpf. Es ist nicht die Wunde, sondern einige rohe Stellen am Bein.«
»Wie oft ruhen Sie Ihr Bein aus?«, fragte Joss und seufzte dann. »Lassen Sie es mich anders ausdrücken: Sind Sie zu dumm, um Ihrem Bein tagsüber ausreichend Ruhe zu
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