Redwall 01 - Der Sturm auf die Abtei
lassen. Darüber hinaus hatte Gierschlund angeordnet, dass man die zwölf bis auf weiteres hungern lassen sollte als Strafe dafür, dass sie irgendwelche Lügen von einem großen Hasen und einer jungen Maus erzählt hatten. Er war nachsichtig mit ihnen gewesen. Cluny hätte sie zum Tode verurteilt und mit bloßen Klauen persönlich ins Jenseits befördert.
Draußen im Kirchhof tat die führerlose Horde nicht das Geringste, um sich neu zu organisieren. Der Tagesbefehl schien zu lauten: herumsitzen, seine Wunden lecken und darauf warten, dass der Käpten wieder gesund wird.
Wieder erschien der Mäusekrieger mit seinem uralten Schwert, um Cluny in seinen Fieberträumen heimzusuchen. Wieder fiel er von dem Brett auf der Abteimauer herunter, tiefer und tiefer. Unter ihm warteten gespenstische Gestalten: Zottelohr, dessen blaues Gesicht auf ein Vielfaches seiner normalen Größe angeschwollen war; ein Rattenskelett, das Clunys eigene Rüstung trug; ein hünenhafter Hase mit riesigen Füßen und eine dickbauchige, giftig aussehende Schlange. Während er fiel, versuchte er, ihnen auszuweichen, aber sosehr er sich auch wand und verzweifelt bemüht war, die Richtung zu ändern, Cluny brauchte nur hinunterzusehen, und schon erblickte er den Mäusekrieger mit grimmigem Blick, wie er wartete – immer wartete er, wobei er das Schwert mit dem Heft nach oben hielt, damit Cluny sich aufspießte. Er versuchte zu schreien, aber es kam kein Laut; seine Kehle war wie zugeschnürt.
Er spürte, wie das scharfe Schwert seine Brust durchbohrte.
Dong!
Und wieder weckte die Josefsglocke, deren Klang über die Felder von Redwall schallte, den Kriegsherrn. Reißzahn, der gerade ein Aststück aus der Brust des Käptens entfernte, sprang erschreckt zurück, als Clunys Auge nur wenige Zentimeter vor seinem eigenen aufklappte.
»Geh weg da«, krächzte Cluny.
Reißzahn zog sich zurück und murmelte eine Entschuldigung. Cluny sah ihn misstrauisch an – er traute keinem von ihnen.
»Wenn du mir wirklich helfen willst, dann geh und schnapp dir einige von den neuen Rekruten, die hier in der Nähe gelebt haben, und bring sie mir her«, ächzte er.
Binnen weniger Minuten hatte Reißzahn eine Hand voll Rekruten um Clunys Bett versammelt.
»Wo ist Spiddel das Wiesel?«, knurrte Cluny.
Käseklau trat einen Schritt vor und wischte sich mit einem schmutzigen Pfotenrücken vermeintliche Tränen aus dem Gesicht. »Erinnert Ihr Euch nicht mehr daran, Käpten? Er fiel von dem hohen Baum. Nachdem ich mich um Euch gekümmert hatte, ging ich zu ihm zurück, aber als ich bei ihm ankam, war das arme Wiesel schon tot. Und dabei war es doch so ein gutes, freundliches -«
»Nun hör schon auf mit dem Gejammer«, sagte Cluny gereizt. »Wenn er tot ist, dann ist er eben tot. He, Rekruten, kommt näher heran und hört mir zu.«
Ängstlich schlurfte die kleine Gruppe vorwärts. Cluny kam etwas hoch und stützte sich auf einen Ellenbogen.
»Weiß jemand von euch, wo ein Heiler zu finden ist? Ich meine nicht so einen wie bei den Mäusen. Ich brauche jemanden, der noch mit den alten Bräuchen vertraut ist, einen Zigeuner, einen, der für den richtigen Lohn alles heilen kann.«
Zapfentöter das Frettchen verbeugte sich umständlich. »Ja, Ihr habt Glück, Euer Gnaden, ich kenn genau die richtige Fähe.«
»Eine Füchsin?«, echote Cluny.
»Richtig, eine Füchsin, Herr«, wiederholte das Frettchen. »Meine gute alte Mutter hat immer gesacht: ›Es gibt nix, was ein Fuchs nich fix wieder hinkriegt.‹ Hinter der Wiese wohnt ein ganzes Rudel von ihnen, Herr. Die alte Fähe Sela ist genau die Richtige für Euch, sie und ihr Sohn Hühnerhund. Wenn für die beiden was dabei rausspringt, werden sie Euch so versorgen, dass Ihr bald wieder munter seid wie ein Fisch im Wasser. Wünschen Euer Gnaden, dass ich sie hole?«
Ganz langsam wand sich Clunys Schwanz um den Hals des Frettchens und er zog ihn dicht zu sich heran.
»Schaff sie her«, sagte Cluny heiser. »Finde die Füchse und bring sie zu mir.«
Zapfentöters Kehle schwoll an, als er nervös zu schlucken versuchte. »Schluck! Ich machs, wenn Ihr nur den Hals von mir armem, altem Frettchen loslassen wolltet, Herr, dann würd ich laufen, als wenn der Teufel hinter mir her wär. Legt Euch nur wieder hin und ruht Euch aus, erlauchter Herr.«
Cluny ließ das Frettchen los und legte sich mit einem qualvollen Stöhnen wieder hin. Jetzt war es an der Zeit, zu überlegen und zu planen, wie es weitergehen sollte.
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