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Reflex

Reflex

Titel: Reflex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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mittlerweile so weit fortgeschritten, daß selbst sie ausgezogen waren, und die fünf Morgen, auf denen das Haus stand, sollten binnen drei Monaten versteigert werden. Aber weil potentielle Käufer des Grundstücks das Haus abreißen mußten, konnte man mit keiner besonders hohen Summe rechnen.
    Ich ging die Liste der Mieter durch, keiner hatte es lange ausgehalten. Ein Pflegeheim. Ein Nonnenorden. Eine Künstlerkommune. Ein Jugendklub – Abenteuerprojekt für Jungen. Eine Fernsehgesellschaft. Eine Musikerkooperative. Die ›Auserwählten der Göttlichen Gnade‹. Ein Pornoversand.
    Einer der Detektive war besonders gründlich gewesen und hatte, soweit es möglich war, Nachforschungen über die Mieter angestellt und wenig schmeichelhafte Kommentare beigefügt:
     
    Pflegeheim  – Euthanasie für alle. Von Amts wegen geschlossen
    Nonnen – wegen Zwistigkeiten aufgelöst
    Künstler – widerliche Wandgemälde hinterlassen
    Jungen – alles kaputtgemacht, was noch ganz war
    TV – brauchten Ruine für Film
    Musiker – sämtliche Leitungen durchgebrannt
    ›Auserwählte‹  – religiöse Spinner
    Versandfirma  – Vergnügen für Perverse
     
    Datumsangaben zu den Mietverhältnissen waren nicht beigefügt, aber wenn die Makler die Liste noch liefern konnten, hatten sie sicher auch noch ein paar andere Details. Wenn ich richtig lag bezüglich des Zeitpunkts, zu dem meine Mutter ihren verzweifelten Brief geschrieben hatte, sollte ich zumindest in der Lage sein herauszufinden, mit welchem Haufen Spinner sie zusammengelebt hatte.
    Falls ich das wollte, natürlich.
    Seufzend las ich weiter.
    Abzüge von Amanda Nores Foto waren im Umkreis der kleinen Stadt Mindle Bridge an zahlreichen öffentlichen Orten (in Schaufenstern von Zeitschriftenläden) ausgehängt worden, aber es hatte sich niemand gemeldet, der das Kind oder den Reiterhof oder das Pony identifizieren konnte.
    Man hatte Anzeigen in verschiedene Zeitschriften und (sechs Wochen lang) in eine überregionale Sonntagszeitung gesetzt (Belege anbei), in denen stand, daß Amanda Nore an Folk, Langley, Sohn und Folk, Anwälte in St. Albans, Herts, schreiben sollte, wenn sie eine erfreuliche Nachricht hören wollte.
    Der Detektiv, der sich so gründlich mit den Mietern befaßt hatte, hatte in seinem Eifer auch beim Nationalen Pony Club nachgefragt, aber ohne Erfolg. Sie hatten nie ein Mitglied namens Amanda Nore gehabt. Er hatte darüber hinaus auch an die Britische Vereinigung der Springreiter geschrieben, mit demselben Ergebnis.
    Bei einer Überprüfung von Schulen im größeren Umkreis von Mindle Bridge wurde niemand mit dem Namen Amanda Nore ausfindig gemacht, weder in früheren noch in aktuellen Klassenverzeichnissen.
    Sie war nicht mit der öffentlichen Fürsorge von Sussex in Berührung gekommen. Sie stand in keinem wie auch immer gearteten amtlichen Register. Kein Arzt oder Zahnarzt hatte von ihr gehört. Sie war nicht konfirmiert worden in dieser Grafschaft, nicht getraut, nicht beerdigt oder eingeäschert.
    Die Berichte kamen zu demselben Schluß: Daß sie andernorts aufgezogen worden war oder noch wurde (möglicherweise unter einem anderen Namen) und sich nicht mehr für Pferde interessierte.
    Ich raffte die betippten Blätter zusammen und steckte sie in den Umschlag zurück. Sie hatten sich bemüht, das mußte man zugeben. Sie hatten sich auch bereit erklärt, die Suche auf sämtliche Grafschaften des Landes auszudehnen, wenn man ihnen vorab die erheblichen Kosten bewilligte. Aber für einen Erfolg konnten sie auf keinen Fall garantieren.
    Ihr Gesamthonorar mußte bereits eine schwindelerregende Höhe erreicht haben. Die Bewilligung jedenfalls war ausgeblieben. Ich fragte mich zynisch, ob die alte Dame auf die Idee gekommen war, mich auf die Suche nach Amanda zu schicken, weil sie das billiger kam. Ein Versprechen, eine Bestechung … wie bei einem unerprobten Zuchthengst: ohne Fohlen keine Decktaxe.
    Ich konnte ihr spätes Interesse an ihren Enkeln, die sie so lange ignoriert hatte, nicht verstehen. Sie hatte selbst einen Sohn, der bei meiner Mutter immer nur ›mein unausstehlicher kleiner Bruder‹ geheißen hatte. Er war ungefähr zehn Jahre alt, als ich zur Welt kam, also war er jetzt vierzig, hatte möglicherweise selbst Kinder.
    Onkel. Kusinen. Halbschwester. Großmutter.
    Ich wollte sie nicht. Ich wollte sie nicht kennenlernen oder in ihr Leben hineingezogen werden. Nichts konnte mich dazu bringen, Amanda zu suchen.
    Ich stand entschlossen auf und

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