Reflex
und daß ich eine Frau brauchte. Das sagte sie mir oft. Ich widersprach ihr stets in beiden Punkten, aber ich fürchte, sie hatte recht.
»Wir haben gestern abend den Wochenplan nicht durchgesprochen«, sagte Harold.
»Stimmt.«
»Da wäre Pamphlet am Mittwoch in Kempton«, sagte er. »Im Zwei-Meilen-Hindernisrennen; und Tishoo und Sharpener am Donnerstag …«
Er redete eine Zeitlang über die Rennen, immerzu heftig mampfend, so daß ich meine Instruktionen zusammen mit den Krümeln aus seinen Mundwinkeln erhielt.
»Verstanden?« sagte er abschließend.
»Ja.«
Es sah ganz so aus, als hätte ich meine fristlose Entlassung nun doch noch nicht bekommen, und ich war erleichtert darüber und dankbar, aber es war dennoch klar, daß der Abgrund nicht weit entfernt war.
Harold warf einen Blick durch die große Küche zu seiner Frau hinüber, die Geschirr in den Geschirrspüler räumte, und sagte: »Victor gefällt deine Haltung nicht.«
Ich sagte nichts darauf.
Harold sagte: »Das erste, was man von einem Jockey verlangt, ist Loyalität.«
Das war Blödsinn. Das erste, was man von einem Jockey verlangte, war, daß man etwas bekam für sein Geld.
»Führer befiehl, wir folgen dir?« sagte ich.
»Besitzer halten nichts von Jockeys, die ihnen moralische Vorhaltungen machen.«
»Dann sollten Besitzer die Öffentlichkeit nicht betrügen.«
»Bist du fertig mit dem Essen?« wollte er wissen.
Ich seufzte bedauernd: »Ja.«
»Dann komm in mein Büro.«
Er ging voran in das rotbraune Zimmer, das von bläulich kühlem Morgenlicht erfüllt war; im Kamin brannte noch kein Feuer.
»Mach die Tür zu«, sagte er.
Ich machte sie zu.
»Du wirst dich entscheiden müssen, Philip«, sagte er. Er stand beim Kamin, einen Fuß auf der Kaminsohle, ein großer Mann in Reitkleidung, der nach Pferden, frischer Luft und Spiegeleiern roch.
Ich wartete unverbindlich.
»Victor möchte möglicherweise ein weiteres Rennen verlieren. Garantiert nicht sofort, das wäre zu auffällig. Aber irgendwann sicher. Er sagt, wenn du es allen Ernstes nicht machen willst, müssen wir uns einen anderen suchen.«
»Nur für die bewußten Rennen?«
»Sei nicht blöd. Du bist doch nicht blöd. Du bist schlauer, als es dir guttut, verdammt nochmal.«
Ich schüttelte den Kopf. »Warum fängt er wieder mit diesen krummen Touren an? Er hat in den letzten drei Jahren eine Menge Geld kassiert, auf die ehrliche Tour.«
Harold zuckte die Achseln. »Weiß ich nicht. Ist ja auch egal. Er hat mir am Samstag bei unsrer Ankunft in Sandown erzählt, er hätte Wetten auf sein Pferd angenommen und für mich wäre ein großer Teil vom Gewinn drin. Wir haben das schon früher gemacht … warum nicht wieder? Was ist bloß in dich gefahren, Philip, daß du wegen einem kleinen krummen Ding in Ohnmacht fällst wie eine bescheuerte Jungfrau?«
Ich konnte es ihm nicht sagen. Er setzte seinen Redeschwall ohnehin fort, bevor ich mir eine Antwort überlegt hatte. »Nun überleg doch mal, Junge. Wer hat die besten Pferde im Stall? Victor. Wer kauft gute neue Pferde als Ersatz für die alten? Victor. Wer bezahlt pünktlich seine Trainingsrechnungen, normalerweise für fünf Pferde gleichzeitig? Victor. Wem gehören mehr Pferde in diesem Stall als irgend jemand sonst? Victor. Und auf welchen Besitzer kann ich am wenigsten verzichten? Wo er zudem noch seit mehr als zehn Jahren mit mir zusammenarbeitet und mir einen Großteil der Sieger gestellt hat, die ich früher trainiert habe. Und mir vermutlich die meisten stellt, die ich noch trainieren werde. Was glaubst du also, mit wem steht und fällt mein Geschäft?«
Ich starrte ihn an. Mir war bis dahin wohl nie bewußt gewesen, daß er vielleicht in derselben Lage war wie ich. Tun, was Victor verlangte, oder – aus.
»Ich möchte dich nicht verlieren, Philip«, sagte er. »Du bist ein widerborstiger Scheißkerl, aber wir sind all die Jahre gut klargekommen. Obwohl es nicht ewig so weitergehen kann. Du reitest jetzt … wieviel … zehn Jahre?«
Ich nickte.
»Also noch drei oder vier. Wenn’s hochkommt, fünf. Ziemlich bald wirst du nach einem Sturz nicht mehr so leicht hochkommen wie jetzt. Und einer von der üblen Sorte kann dich jederzeit endgültig außer Gefecht setzen. Also mach dir nichts vor, Philip. Wen brauche ich langfristig mehr? Dich oder Victor?«
Leicht melancholisch gingen wir auf den Hof hinaus, wo Harold ein paar herumtrödelnde Stallburschen anbrüllte, aber nur halbherzig.
»Sag mir Bescheid«, sagte
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