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Reflex

Reflex

Titel: Reflex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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meinst du das?«
    »Wofür hat er sein Geld ausgegeben?«
    »Für Objektive, hauptsächlich. Teleobjektive, so lang wie dein Arm. Immer die neuesten Modelle.«
    Ich schleppte meinen Sattel mit den Aufgewichten zur Prüfwaage hinüber und schob ein weiteres flaches Bleigewicht ein. Steve stand auf und folgte mir.
    »Wieso fragst du, wofür er sein Geld ausgegeben hat?«
    Ich sagte: »Einfach so. Ohne Grund. Hab mich nur gefragt, womit er sich gern beschäftigt hat, abseits der Rennbahn.«
    »Er hat fotografiert. Die ganze Zeit, überall. Er hat sich für nichts anderes interessiert.«
    Als es Zeit war, ging ich hinaus, um das grünbraune Pferd zu reiten, und es war einer der seltenen Tage, an denen einfach alles klappte. Mit uneingeschränkter Euphorie stieg ich wieder als Sieger ab und dachte, daß ich dieses Leben unmöglich aufgeben konnte. Unmöglich. Nicht wenn einen das Gewinnen mehr antörnte als Heroin.
    Meine Mutter war wahrscheinlich an Heroin gestorben.
     
    Steves Mutter lag allein in einem kleinen Kabuff mit Glaswänden, isoliert, aber den neugierigen Blicken jedes Fremden, der vorüberkam, schonungslos ausgesetzt. Es waren Vorhänge da, aber sie waren nicht zugezogen. Ich haßte das System, das den Krankenhauspatienten das Recht auf Privatsphäre verweigerte. Wer auf Erden, ob krank oder verletzt, wollte sich in seiner Not auch noch angaffen lassen?
    Marie Millace lag mit zwei flachen Kissen unterm Kopf auf dem Rücken, zugedeckt mit einem Laken und einer dünnen blauen Decke. Ihre Augen waren geschlossen. Ihr braunes Haar war fettig und zerzaust. Ihr Gesicht sah schrecklich aus.
    Die abgeschürften Stellen von Samstagabend waren jetzt mit dickem dunklem Schorf bedeckt. Das geplatzte Augenlid war genäht; es war monströs geschwollen und blau. Die Nase war purpurrot unter einem Formgips, der an der Stirn und an den Wangen mit weißem Heftpflaster befestigt war. Ihr offener Mund, der ebenfalls geschwollen war, war violett. Und allenthalben sah man die deutlichen Spuren der Schläge: purpurrot, grau, blau und gelb. Frisch hatten die Verletzungen einfach nur scheußlich ausgesehen, erst im Heilungsprozeß zeigte sich ihr wahres Ausmaß.
    Ich hatte schon öfters Leute in solchem und in schlimmerem Zustand gesehen, von galoppierenden Pferdehufen übel zugerichtet; aber das hier hatte man einer wehrlosen Frau angetan, in ihrem eigenen Haus, aus reiner Bosheit; das rief andere Reaktionen hervor: Ich fühlte kein Mitleid, sondern Wut. Die Wut von Steves ›Ich bringe sie um‹.
    Sie hörte mich hereinkommen und öffnete ihr weniger ramponiertes Auge einen Spalt, als ich nähertrat. Soweit ich das sehen konnte, sah sie völlig verdattert drein, als hätte sie mich zuallerletzt hier erwartet.
    »Steve hat mich gebeten, Sie zu besuchen«, sagte ich. »Er konnte nicht herkommen wegen seiner Schulter. Er kann nicht fahren … ein paar Tage lang.«
    Das Auge schloß sich.
    Ich zog mir einen Stuhl von der Wand ans Bett, um neben ihr zu sitzen. Das Auge öffnete sich wieder, und dann streckte sie mir langsam ihre Hand entgegen, die auf der Decke geruht hatte. Ich ergriff sie, und sie packte fest zu und umklammerte meine Hand, als suchte sie Halt und Trost und Sicherheit. Nach einer Weile legte sich ihr Schutzbedürfnis langsam, und sie ließ meine Hand los und ließ die ihre schlaff auf die Decke sinken.
    »Hat Steve Ihnen von dem Haus erzählt?« sagte sie.
    »Ja. Es tut mir leid.« Es klang kläglich. Alles klang kläglich angesichts der Schläge, die sie getroffen hatten.
    »Haben Sie es gesehen?« sagte sie.
    »Nein. Steve hat mir auf der Rennbahn davon erzählt. In Kempton, heute nachmittag.«
    Sie sprach schleppend und war schwer zu verstehen, weil sie ihre Zunge bewegte, als wäre sie steif hinter den geschwollenen Lippen.
    »Meine Nase ist gebrochen«, sagte sie und zupfte nervös an ihrer Decke.
    »Ja«, sagte ich. »Meine war auch einmal gebrochen. Ich habe auch so einen Gips bekommen wie Sie. In einer Woche sind Sie wieder völlig hergestellt.«
    Ihr Schweigen konnte nur als Ungläubigkeit verstanden werden.
    »Sie werden überrascht sein.«
    Es entstand eine Pause, wie sie nur an Krankenhausbetten entsteht. Vielleicht lagen hier die Vorteile großer Krankensäle, dachte ich: Wenn einem die Platitüden ausgingen, konnte man immer über die grausigen Symptome im Bett nebenan diskutieren.
    »George hat erzählt, daß Sie fotografieren wie er«, sagte sie.
    »Nicht wie er«, sagte ich. »George war der

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