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Reflex

Reflex

Titel: Reflex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Dick Francis
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abgebrannt.

6
    Ivor den Relgan!« Von allen Seiten hörte ich diesen Namen, in den verschiedensten Klangfarben von Erstaunen bis Unglauben. »Mitglied des Jockey Clubs! Unglaublich!«
    Der Jockey Club, dieser exklusive, feine Herrenverein, hatte offenbar heute morgen einen Mann in seine erlesenen Reihen aufgenommen, den man sich jahrelang auf Armeslänge vom Leibe gehalten hatte. Einen reichen, aufgeblasenen Mann, der auf den Rennbahnen mit seinem Geld um sich geworfen und auch manches Gute getan hatte, aber in einer Weise, die die Betroffenen vor den Kopf stieß. Angeblich war er holländischer Herkunft. Das heißt, er sollte aus irgendeiner obskuren ehemaligen holländischen Kolonie stammen. Er hatte einen Akzent, der sich nach einer Mischung aus Südafrika, Australien und Amerika anhörte, eine bunte, polyglotte Mischung aus Vokalen und Konsonanten, die durchaus hätte attraktiv sein können, aber überheblich klang. Die Stimme schien auszudrücken, daß er bei weitem kultivierter war als die verstaubten britischen oberen Zehntausend. Er suchte nicht die Gunst der Etablierten, sondern ihre Bewunderung. Er gab zu verstehen, daß sie davon profitieren würden, wenn sie seinen Rat befolgten. In Briefen an die Zeitschrift Sporting Life bot er ihn häufig gratis an.
    Bis zum heutigen Tag hatte der Jockey Club denn auch bei verschiedenen Gelegenheiten erkennbar seinen Rat befolgt, sich aber standhaft geweigert zuzugeben, daß er von ihm stammte. Ich fragte mich flüchtig, was sie wohl zu einer solchen Kehrtwendung veranlaßt hatte. Was hatte sie plötzlich dazu gebracht, den Verschmähten in die Arme zu schließen?
    Steve Millace war im Umkleideraum, wartete bei meinem Kleiderhaken.
    Seine Anspannung war schon von der Tür aus zu erkennen, aber aus der Nähe war sie überwältigend. Kreidebleich und zitternd stand er da, den Arm in einer schwarzen Schlinge, und sah mich aus tiefliegenden, verzweifelten Augen an.
    »Hast du’s gehört?« sagte er. Ich nickte.
    »Es ist Montag nacht passiert. Das heißt, gestern, denk ich … so gegen drei. Bis irgendwer was bemerkt hatte, war schon alles hin.«
    »Deine Mutter war nicht dort?«
    »Sie hatten sie im Krankenhaus behalten. Sie ist immer noch dort. Es ist zuviel für sie. Wirklich …« Er zitterte. »… zuviel.«
    Ich gab ein paar aufrichtig mitfühlende Laute von mir.
    »Was soll ich bloß machen?« sagte er, und ich dachte, er hat mich zu so was wie seinem älteren Bruder erkoren, zu einer inoffiziellen Beratungsstelle.
    »Hast du nicht irgendwas von Tanten erzählt?« fragte ich. »Bei der Beerdigung?«
    Er schüttelte ungeduldig den Kopf. »Es sind Vaters Schwestern. Ältere Schwestern. Sie können meine Mutter nicht leiden.«
    »Trotzdem …«
    »Es sind falsche Hexen«, sagte er aufbrausend. »Ich hab sie angerufen … sie meinten: ›Wie schrecklich.‹« Er äffte giftig ihre Stimmen nach. »›Sag der armen Marie, daß sie sich von der Versicherungssumme ein hübsches Häuschen am Meer kaufen kann.‹ Die machen mich krank.«
    Ich zog meine Straßenkleidung aus, um in den Renndress zu steigen, im Bewußtsein, daß für Steve die Alltagsarbeit völlig unwichtig war.
    »Philip«, sagte er flehentlich. »Du hast sie gesehen. Total zusammengeschlagen … und mein Vater nicht mehr da … und jetzt das ganze Haus … Bitte … bitte hilf mir.«
    »Na schön«, sagte ich resigniert. Was blieb mir anderes übrig? »Wenn ich mit dem Reiten fertig bin, überlegen wir uns was.«
    Er ließ sich auf die Bank fallen, als würden ihm seine Beine den Dienst versagen, und da blieb er sitzen und starrte ins Leere, während ich mich fertig umzog und zum Wiegen ging.
    Harold war wie üblich bei der Waage und wartete darauf, mir den Sattel abzunehmen, nachdem ich gewogen worden war. Seit Montag hatte er zu der lebensverändernden Entscheidung keine Bemerkung gemacht, und vielleicht interpretierte er mein Schweigen nicht als nervenzermürbende Unentschlossenheit, sondern als stillschweigendes Einverständnis, zu den alten Gepflogenheiten zurückzukehren. Als ich ihm den Sattel über den Arm hängte, sagte er jedenfalls in ganz normalem Ton: »Hast du gehört, wen sie in den Jockey Club aufgenommen haben?«
    »Klar.«
    »Nächstens nehmen sie noch Dschingis-Khan auf.«
    Er ging mit dem Sattel hinaus, um ihn Pamphlet aufzulegen, und zu gegebener Zeit ging ich zu ihm in den Führring, wo das Pferd unbekümmert im Kreis herumging, und der Popstar, dem es gehörte, vor Anspannung an den

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